SAHARA CLUB e.V. -- Wüstenfreunde & Weltenbummler

Kuriositäten aus drei Reisen in Kanada 2018 bis 2022


von Michael Wollert

Seit 2018 haben wir auf drei mehrmonatigen Reisen insgesamt nun eine Strecke von über 60.000 Kilometern zurückgelegt. Abgesehen von Nunavut (1,8 Mio.km², 37.797 Einwohner) haben wir alle Provinzen (Länder mit eigener Landesregierung) und Territorien (Landesteile, die wegen geringer Bevölkerung direkt der Zentralregierung unterstehen) bereist.

Es gibt keine Bahn und keine Straßen nach und in Nunavut. Die Vielfalt der Landschaften und der Menschen ist für uns noch immer unvorstellbar. Nur wenige Male hatten wir Kontakt mit der indigenen Bevölkerung (hier: First Nation genannt; es gibt mehr als 600 indigene Stämme – davon etwa 580 mit weniger als 5.000 Menschen - in über 3.000 Reservaten, insgesamt weniger als 4% der Gesamtbevölkerung), sehr oft aber mit Menschen, deren Vorfahren ab dem 16. Jahrhundert aus Europa eingewandert sind. Und viele haben ihre Kultur versucht zu bewahren, alle sind aber Kanadier.

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Vielleicht mit wenigen Ausnahmen. So z.B. ist jetzt, in der Zeit, bis Queen Elizabeth II zu Grabe getragen wird, im ganzen Land auf Halbmast geflaggt, Trudeau hat den Tag des Begräbnisses zum Nationalen Feiertag erklärt (auch wenn sein Wirtschaftsminister am nächsten Tag erklärt hat, dass der nationale Feiertag nur für Staatsbeamten der Zentralregierung ein freier Tag ist!) Die Provinz Quebec hat den Siebenjährigen Krieg zwischen England und Frankreich vor 260 Jahren bis heute nicht vergessen und trauert gar nicht um die Königin, obwohl das Land Kanada noch Mitglied des Commonwealth ist. Die stark ausgeprägte und unüberbrückbare politische Polarisierung war für uns eine große  Überraschung. In den französisch sprechenden Gebieten (die sich im Norden bis weit nach Alberta insulär ausbreiten) wird die (Minderheits-)Regierung des Präsidenten als die richtige Antwort auf die Probleme dieser Zeit gelobt. Weiter im Westen wird die Politik des Präsidenten aus tiefstem Herzen abgelehnt. Und alle haben ihre Gründe!

So gibt es auch keinen großen Handel zwischen den Provinzen: Alberta hat keinen Hafen, und es gibt keine Pipeline, die die Provinzen verbindet. Das in Alberta und Saskatchewan geförderte Öl wird meist nach Texas exportiert (und von dort auch nach Quebec reimportiert!); der Osten nimmt weder Öl noch Gas von Alberta ab (im Osten haben wir für 1l „Regular“ bis zu kan$ 2,68 bezahlt, gestern haben wir in Alberta für kan$ 1,149 getankt.) Quebec im Osten liefert seinen billigen Wasserkraftstrom lieber nach New York als in die Nachbarprovinzen. Und man darf niemals die Größe Kanadas, des zweitgrößten Staates dieser Erde unterschätzen (Zensus 2021: 37,0 Mio. Einwohner): Allein eine einzige Provinz (Quebec) ist vier Mal größer als Deutschland, hat aber nur 8,5 Mio. Einwohner. Die Bemühungen um eine Selbständigkeit in Quebec schlummern im Augenblick nach zwei Gerichtsentscheidungen, sind aber noch latent allenthalben zu hören. In Alberta haben wir indes erfahren, dass hier in den nationalen Kreisen ein Anschluss an die Vereinigten Staaten diskutiert wird. Es gibt auch einen „Länderfinanzausgleich“ ähnlich wie bei uns. Aber die Rechenbasis ist nicht in allen Provinzen die gleiche. So hat Quebec zum Beispiel die Wasserkraftwerke „schein-privatisiert“: die Riesengewinne - erzählt man uns - gehen in Quebec nicht in den Finanzausgleich ein, wohl aber in allen anderen Provinzen. So bekommt Quebec in der Umlage seit Jahrzehnten einen Batzen Geld von den anderen Provinzen und kann damit Kindergärten und Schulen stark subventionieren. Aber so was macht natürlich keine Freunde!

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Sobald man auch nur etwas ins Detail geht, erkennt man, dass Kanada ein Staat in Nordamerika ist, aber nicht ein „Land in unserem Sinne“, vielmehr eine Vereinigung von Ländern (Provinzen) teils mit konträren Interessen, wenn auch ohne Landesgrenzen. Kanada und Europa haben seit 2022 auf der 1,25 km² großen Hans-Insel eine gemeinsame Grenze! Damit wurde der Whiskey-Krieg nach fast 50 Jahren beendet; die Insel wurde geteilt. Ein Teil gehört nun zu Kanada, der andere zu Grönland (= Dänemark). Im Whiskey-Krieg kamen einmal monatlich die Kanadier auf die Insel, hissten die kanadische Flagge und hinterließen eine halbe Flasche kanadischen Whiskey am Fahnenmast. Keine zwei Wochen später kamen die Dänen, nahmen die kanadische Flagge mit und hissten die dänische Flagge und hinterließen eine halbe Flasche dänischen Aquavit. Und das 50 Jahre lang. Bei den Dänen müssten danach etwa 2.574 kanadische Flaggen lagern! Knapp 25 Kilometer vor der Küste Neufundlands liegt St. Pierre und Miquelon. Beide Inseln gehören zum französischen Staatsgebiet. Hier mietet man billig Peugeots und zahlt in EURO. Auf Miquelon leben knapp 600 Menschen, auf der Insel St. Pierre, die nur knapp ein Zehntel so groß ist wie Miquelon, leben immerhin fast 5.000 Einwohner! Die Franzosen sind verhasst bei den kanadischen Fischern, weil sich die Franzosen nicht an die kanadischen Fangquoten halten müssen und regelmäßig das Meer leer fischen. Den gleichen Krach gibt es zwischen Kanada und USA: Die Zentralregierung in Ottawa hat zwei Tage vor Beginn der Lachs-Saison dieses Jahr aus Angst um die Bestände der Lachse (alle Fischerboote waren bereits betankt, und die Hilfskräfte waren aus dem ganzen Land angereist) den Lachsfang komplett untersagt. Die Fischer gegenüber in USA, im Staate Washington, freuen sich dieses Jahr besonders, denn sie dürfen in USA-Gewässern ohne Quote Lachs fangen. Auch so macht man sich keine Freunde!

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Hier in British Columbia gibt es noch eine Kuriosität: Der Columbia River entspringt in den Rocky Mountains und fließt im Staate Washington (USA) in den Pazifik. In USA wurden mehrere Wasserkraftwerke errichtet, so dass die Pazifiklachse einerseits ihre Brutstätten nicht mehr erreichten, andererseits die Lachse im kanadischen Teil des Flusses mit seinen zahlreichen Nebenflüssen und riesigen Seen nicht mehr ins Salzwasser kamen. Die Zentralregierung ist für alle Außengrenzen und Flüsse, die ins Meer fließen, zuständig. Da die Lachse im kanadischen Teil aber das Meer nicht mehr erreichten, waren sie nun eine Angelegenheit der Provinz, und die erließ ihre eigenen Gesetze. Ja bis … die Cree, deren Stammesgebiet sowohl in USA als auch in Kanada liegt, mit mehreren Gerichtsverfahren durchsetzten, dass die USA zum Bau von Fischleitern gezwungen wurde. Und plötzlich gab es wieder Pazifiklachse im Columbia River … und seitdem Streit zwischen der Provinzregierung und der Zentralregierung.

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Im Osten Kanadas leben die meist französisch sprechenden Akadier. Sie nennen sich „eine Nation ohne Land“ und singen keltische Lieder, die ich anfangs für schottische Melodien hielt. Welch ein Irrtum, welch ein faux pas! Etwas ungewohnt mag auch die Meldung sein, dass vor wenigen Tagen eine Bärenmutter mit ihren drei Rackern in einem Vorgarten unter einem Apfelbaum mitten in Canmore nach einem stundenlangen Mahl der feinen Früchte eingeschlafen ist.  Man hat sie narkotisiert und wieder in die Wälder zurück gebracht. Man hat uns erzählt, dass so etwas jeden Herbst hier passieren kann, denn die klugen Tiere riechen die reifenden Früchte über weite Distanzen. Vor ein paar Wochen strich ein ausgewachsener Grizzlybär hier genau durch das Wohngebiet, in dem unsere Freunde leben, und wo Agathe üblicherweise noch ihren Abendspaziergang macht. Als wir die Zeitungsmeldung lasen, wurde Agathe erkennbar blass! „We are close to nature here“, war der Kommentar der Einheimischen.

Kanada ist schon ein ganz besonderes Reiseland. Wir haben wieder eine Menge an Eindrücken zu verarbeiten.

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