Kenia – August 2018 – Eine Nacht in den Taita Hills
Reisebericht von Rudi Hettinger
Im August 2018 waren Christine und ich an entlang der Küste Tansanias unterwegs. Von Daressalam aus ging es nordwärts nach Bagamoyo, der alten Swahili-Stadt („Stonetown des Festlandes“), und weiter durch den Saadani-Nationalpark über Pangani nach Tanga. Da wegen des Carnet de Passage mal wieder eine Grenzüberquerung fällig war, entschieden wir uns für einen Abstecher nach Kenia. Als Ersatz für einen Ausflug nach Sansibar wollten wir wenigstens ein paar schöne Tage an den Traumstränden südlich von Mombasa verbringen.
Die Grenzformalitäten am Übergang mit dem klangvollen Namen Horohoro – Lunga-Lunga (kein Witz!) waren schnell erledigt, und so erreichten wir bald die Halbinsel mit dem Ort Shimoni, von wo aus wir mit einer alten Dhau zum Tauchen und Schnorcheln aufs Meer hinaus fahren konnten. Die gegenüber liegende Wasini-Insel und der Kisite-Meeres-Nationalpark bieten dazu eine herrliche Kulisse. Und da das Firefly-Ocean-Camp außer uns lediglich drei Meeresbiologen beherbergte, hatten wir die schönen Sundowner-Balkone direkt über der Brandung ganz für uns alleine. Nach ein paar beschaulichen Tagen am Wasser zog es uns weiter in Richtung Norden. Nachdem wir die touristisch stark frequentierten Strände von Diani und Tiwi passiert hatten, bogen wir nach Westen ab, weil wir die Fähre in Mombasa und den Großstadtverkehr vermeiden wollten. Wir wählten eine kleine Straße, die durch die Shimba Hills (Hemingways „Green Hills of Afrika“) führte und dann, als Piste, einen großen Bogen um Mombasa herum beschrieb und schließlich am Highway nach Nairobi wieder auskam.
Als Übernachtungs- und Campingmöglichkeit hatte man uns eine Lodge vor Voi empfohlen. Ein guter Tipp! Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir die Ngutuni-Lodge und das gleichnamige Wildschutzgebiet, was ein Teil des Tsavo-Ost Nationalparks ist. Camping war hier leider nicht mehr erlaubt, aber für 60,- USD p.P. gab´s ein komfortables Zimmer mit Dinner und Frühstück und gratis Gamedrives. Dabei hatten wir das Glück, sogar Geparden zu sichten! Jetzt wissen wir auch, warum die Elefanten hier rot sind: Sie nutzen Frau Himbas Puderdose für die Hautpflege!
In Voi zweigten wir nach Westen ab auf eine Straße, die durch den Tsavo-West Nationalpark genau auf den Mt. Kilimanjaro und die Grenze nach Tansania zuführt. Rechter Hand, noch vor dem Nationalpark, liegt ein kleiner Gebirgszug: die Taita Hills. Nach ihnen ist auch ein Wildschutzgebiet südlich der Straße benannt, das ebenfalls zum Tsavo-West-Gebiet gehört. Wir wollten aber den Gebirgszug erkunden und auf der höchsten Erhebung übernachten, was laut Reise Know-How-Führer angeblich möglich ist. Die Zufahrt in die Berge ist gut asphaltiert und führt sogar an einem Campus der „Taita-Taveta-Universität“ vorbei. Sie gewinnt schnell an Höhe, und man kommt aus der staubtrockenen Ebene bald in eine Region, die eher an europäische Mittelgebirge erinnert. Viel frisches Grün säumt die Straße, und immer wieder gibt es beeindruckende Aussichten auf die Tsavo-Ebene. Weil es hier oben kühler ist als unten und es mehr Niederschläge und Wasserläufe gibt, wohnen auf der Höhe natürlich auch viele Menschen, die Region ist dicht besiedelt.
An der höchsten Stelle der geteerten Rundfahrt, bei dem Ort Wundanyi, zweigten wir auf eine Piste ab und versuchten der etwas verwirrenden Wegbeschreibung zu dem höchsten Gipfel des Massivs zu folgen. Sehen konnten wir den 2205 Meter hohen Vuria und die darauf stehenden Funkmaste allerdings nicht, da am Nachmittag zunehmend Bewölkung aufkam. Fragen nach dem Weg wurden von den hier lebenden Leuten meistens mit ungläubigen Blicken oder Achselzucken beantwortet. Andererseits wollten wir aber auch nicht jedem auf die Nase binden, dass wir dort übernachten wollten. Also fuhren wir weiter und weiter, und die Piste wurde immer schlechter. Dort, wo wir den Gipfel vermuteten, hing außerdem zwischenzeitlich eine bedrohlich dunkle Wolkenwand, und es wurde erstaunlich kalt und windig, … schließlich gaben wir den ursprünglichen Plan auf. Bei dem Wetter hätten wir von oben eh nichts mehr gesehen.
Stattdessen folgten wir der Piste, auf der wir uns gerade befanden, in die Richtung, die das stabilere Wetter versprach. Dadurch gelangten wir auf die vom Wetter abgewandte Seite des Gebirges und kamen immer weiter in Richtung Nordwesten ab. Auch das Landschaftsbild änderte sich: Es herrschte nun euphorbienbewachsenes, trockenes Hügelland vor, und es gab nicht mehr so viele Ortschaften. Außerdem wurde es bald Zeit, einen Schlafplatz zu finden … Ihr kennt sicherlich diese Diskussionen über den Zeitpunkt des Beginns und die Vorgehensweise bei der Suche nach einem Übernachtungsplatz. Sofern kein Etappenziel oder Campingplatz in Reichweite ist (wie in diesem Fall), neige ich dazu, ungefragt einen schlecht einsehbaren Platz zu „erobern“, an dem man (vielleicht) einigermaßen ungestört bleiben kann. Christine hingegen setzt eher auf die Strategie der offenen Kommunikation und bevorzugt es, sich an eine öffentliche Person zu wenden und um einen Übernachtungsplatz zu bitten. So fragten wir also in der nächsten Ortschaft ganz direkt einen jungen Mann, der neben dem Weg gerade Ziegelsteine formte, ob er einen Übernachtungsplatz wisse. Mit breitem Grinsen und voller Stolz sagte er, das sei sein Dorf, und wir könnten uns einen Platz aussuchen. Völlig perplex schauten wir uns erst mal in der winzigen Ortschaft um und wählten dann einen Platz in der Nähe der alten Schule, die einen verlassenen Eindruck machte. Das Dachzelt ließen wir erst mal geschlossen und widmeten uns dem Sundowner und den Vorbereitungen für das Abendessen.
Von Zeit zu Zeit fuhren mit großen gelben Kanistern beladene Mopeds vorbei, deren Fahrer uns freundlich zuwinkten und „Good Afternoon“ riefen. Einige blieben auch stehen und schauten uns eine Weile neugierig zu oder begrüßten uns sogar mit Handschlag. Bald tauchte ein älterer Herr auf, der uns ebenfalls interessiert musterte. Von der Freundlichkeit der Menschen hier oben ganz angetan, begrüßten wir diesen Herrn nun von uns aus und fragten ihn, ob er es in Ordnung fände, wenn wir hier übernachteten. Er nickte nachdenklich und sagte, er sei der Bürgermeister (Chief) des Ortes und wolle sich überzeugen, ob wir es denn auch bequem genug hätten. Um ihn zu beruhigen, schlugen wir vor seinen kritischen Augen das Dachzelt auf und erklärten, dies sei unser „rollendes Haus“ auf dem Autodach. Immer noch kritische Blicke … Also luden wir ihn ein, die Leiter hoch zu steigen und sich selbst ein Bild von der Behaglichkeit des Innenraums zu machen. Erst nach Prüfung der Matratze stieg er lächelnd und sichtlich erleichtert wieder herunter, wünschte uns eine angenehme Nacht und betonte, dass dies ein sicherer Ort sei. Damit waren wir offiziell für die Nacht vom Dorf „adoptiert“. Ich war echt beschämt, überhaupt die Idee gehabt zu haben, sich hier heimlich und ungefragt in irgend einer Ecke zu verdrücken, ohne mit den Leuten zu reden …
Später in der Nacht zog ein Sturm auf, der das Zelt ordentlich durchrüttelte, und immer wieder fuhren Mopedfahrer mit lauten „sleep well“-Rufen vorbei.
Am nächsten Morgen, noch bevor wir mit dem Frühstück fertig waren, tauchte eine Gruppe Kinder auf, die begannen, die Beete um die Schule herum zu gießen. Und das in den Schulferien, wie wir von dem dazu kommenden Schuldirektor erfuhren. Christine outete sich ihm gegenüber als „vom Fach“, und sofort wurden wir von ihm zu einem anderthalbstündigen Vortrag über die Lage, die Geschichte, die Entwicklung und den Status dieser Schule „eingeladen“. Die Schule war von den staatlichen Stellen tatsächlich aufgegeben worden, da der Ort als zu klein erschien. Das hatte für einige der Schüler aber zur Folge, dass sie bis zu 30 Kilometer zur nächsten Schule durch karges Gebirge laufen mussten. Auf Privatinitiative einiger Eltern und dieses Lehrers wurde die Schule wieder geöffnet. Ohne staatliche Unterstützung, was bedeutet, dass alles Unterrichtsmaterial geliehen oder selber besorgt werden muss. Eine Herausforderung, die wir gerne mit einem kleinen Obulus unterstützten!
In der Zwischenzeit hatten sich die Kinder um unser Auto geschart und musterten neugierig die Leiter. Also durfte jedes mal einen Blick in unser „Schlafzimmer“ werfen. Auch unsere leeren 1,5-Liter Wasser-Einwegflaschen fanden dankbare Abnehmer, da sich damit das Bewässern der Beete wesentlich vereinfachen ließ.
Zum Abschied von diesem gastlichen Ort, dessen Name nicht mal auf der Landkarte verzeichnet ist, zeigte sich im Westen, hoch über den weißen Schönwetterwolken, die Gletscherkappe des Mount Kilimanjaro am blauen Himmel. Ein beeindruckendes Bild!
Einer der freundlichen Mopedfahrer eskortierte uns sogar noch aus dem Gebirge heraus und führte uns zu der Piste, die uns zurück auf die Asphaltstraße in Richtung tansanische Grenze brachte. Damit waren wir wieder auf dem Weg nach Arusha, unserem diesjährigen Etappenziel.