Ägypten 2005 – Land der Kontraste <
Reisebericht von Angelika Baumann
Mittwoch morgen 6:50 Uhr: Gerade ist es hell geworden. Das Thermometer zeigt 6,7 Grad – immerhin plus. Durch das Autofenster blicke ich auf die beinahe topfebene Landschaft, in der wir unsere erste Wüstennacht verbracht haben. Gestern sind wir in Kairo gestartet. Wir haben dem letzten noch existierenden Weltwunder, den Pyramiden von Gizeh, einen Besuch abgestattet. Beeindruckend die Größe dieser alten Bauwerke, die den Jahrtausenden getrotzt haben. Am interessantesten empfand ich jedoch die Barke des Pharao, die im Originalzustand zu besichtigen ist. Das Boot ist ohne Nägel zusammengefügt, lediglich zwei Kupferstifte sind zu finden. Die Spalten, die man deutlich zwischen den Holzplanken sehen kann, schließen sich sobald das Boot zu Wasser gelassen wird. Mit großer Präzision gefertigt, ist es auch stilistisch ein Meisterwerk. Ich stelle mir vor, wie es damals wohl ausgesehen haben muss, vor viereinhalb tausend Jahren, als der Pharao seinen letzten Weg zu seiner Grabstätte in diesem Boot auf dem Nil zurückgelegt hat.
Die Sonne beginnt am Horizont aufzusteigen, und ich beschließe erst bei 10 Grad den warmen Schlafsack zu verlassen. Doch der Kaffeedurst ist größer als die Erwartung an die höhere Lufttemperatur. Uwe will schon mal das Wasser aufsetzen, doch ich liege auf der Kochkiste! Also doch schon raus. Ich mummele mich in meine Fleecejacke und klettere aus dem Auto. Ist das noch kalt, brrr! Da hilft nur Bewegung. Ich laufe los. Der flache Sandboden ist bedeckt mit unzähligen kleinen Steinchen in den verschiedensten Farben und dazwischen kleine und größere dunkelbraune und schwarze auffällige Gebilde: Versteinertes Holz. Aus der Entfernung kann ich immer mehr zusammenliegende Haufen davon entdecken. Oft erkennt man noch genau, wo und wie der ursprüngliche Baum umgefallen ist, und wo die Baumkrone war. Wir stehen also sozusagen mitten in einem Wald. Ich gehe zurück zum Auto Wir richten uns zur Sonne aus und genießen den Kaffee und den angebrochenen Tag. Selbst auf einer solch flachen Reg-Ebene gibt es viel zu entdecken, und so dauert es den halben Vormittag bis wir los kommen.
Wir fahren zurück zur Straße und weiter Richtung Bahariya, der nördlichsten der vier Oasen der Westlichen Wüste. Links der Straße begleitet uns die Bahnstrecke. In den Minen von Menagem wird Eisenerz abgebaut, was nach Helouan südlich von Kairo transportiert wird. Wir sehen die letzten Ausläufer der Abu-Muharrik-Düne. Dann stehen wir oberhalb eines Abbruchs und blicken hinunter in die Bahariya-Senke, 95 Kilometer lang und fast 40 Kilometer breit. Sechs Oasen-Orte liegen in ihr, sowie weitere kleine Weiler. Die Oasen verdanken ihre Existenz dem, durch natürlichen Druck an die Oberfläche drängenden Wasser. Es existieren etwa 4000 Brunnen.
Unsere erste Polizeikontrolle: Woher wir kommen, will man von uns wissen – aus Deutschland – alle beide? – aiwa, itnen almani (ja, zwei Deutsche) – welcome to egypt. Das ägyptische Nummernschild wird abgeschrieben, „maasalama“ – wir können weiter fahren. Na, das war ja einfach. Wir erreichen den, schon zu pharaonischer Zeit besiedelten, Hauptort Bawiti. Berühmt wurde er durch die Entdeckung der etwa 10.000 Mumien aus der griechisch-römischen Epoche. 1993 war ein Esel einige Kilometer süd-westlich des Ortes in ein Loch getreten, durch das es golden schimmerte. Das „Valley of the Golden Mummies“ war entdeckt. Wir durchstreifen den Ort und genießen die Atmosphäre der kleinen Oasenstadt. Abends, es ist schon dunkel, sitzen wir in einer Teebude am Straßenrand, lassen das geschäftige Leben an uns vorbeiziehen und den Tag mit einer Wasserpfeife gemütlich ausklingen.
Es geht weiter Richtung Süden. Rechts, weit entfernt der Straße entdecken wir eine schöne Düne, die sich den Steilhang hochzieht. Da wollen wir hin. Wir biegen im rechten Winkel von der Straße ab und fahren geradewegs darauf zu. Wir lassen das Auto stehen, und machen uns daran, die Düne zu erklimmen – und nehmen dann aber doch lieber den steinigen Steilhang. Von oben haben wir einen grandiosen Ausblick über die Landschaft. Da ganz unten steht winzigklein das rote Auto. Und bis zum Horizont nur Wüstenlandschaft – wunderschön. Für den Rückweg nehmen wir die Düne – mehr rutschend als laufend schliddern wir durch den Sand bergab, der von uns aufgewirbelt in kleinen Fahnen mit dem Wind davon weht.
Wir fahren nicht zurück zur Straße sondern zwischen den Bergen weiter Richtung Süden. Die Landschaft wird dunkler. Der Boden ist mit schwarzen Steinen (von winzigklein bis ganz groß) bedeckt. Um uns herum gibt es viele schwarze Kegelberge. Wir sind in der „Sahara Sauda“, der Schwarzen Wüste. Die Berge zeugen von der lang vergangenen Zeit, als es hier noch aktiven Vulkanismus gab. Reste der erkalteten Lava kann man heute in Form von bizarr erodierten pech-schwarzen Steinen finden. Wir hinterlassen, dort wo wir fahren oder laufen, helle sandfarbene Spuren. Die vielen, kleinen schwarzen Steine werden in den Boden gedrückt, und erst der nächste Sandsturm wird dafür sorgen, dass sie wieder frei an der Oberfläche liegen und so alles wieder in dem dunklen Ton erscheint. Wir finden zwischen den schwarzen Bergen einen schönen Übernachtungsplatz.
Ich lasse die Landschaft an mir vorbeiziehen. Seit einiger Zeit wird es immer heller. Die weißen Berge reflektieren das Sonnenlicht so stark, dass ich die Augen zusammenkneifen muss. Aber ich kann den Blick nicht lassen von den faszinierenden steinernen Gebilden, die rechts und links der Straße „Spalier stehen“. Westlich zieht der Felsabbruch entlang – von Wind und Sonne zu einem phantastisches Panorama erodiert. Davor – wie aus dem Nichts dem Boden entwachsen – große, helle Inselberge. Wir biegen nach Osten ab. Die Piste führt durch eine Felskulisse aus Gebilden, in denen man die verschiedensten Gebäude und Tiere, ja ganze Szenen entdecken kann. Wir gehen zu Fuß weiter. Jeder sucht sich seinen eigenen Weg durch diese wundervolle Landschaft. Ich habe den Eindruck, als müsse diese Kulisse jeden Moment in Bewegung kommen. In meinem Kopf beginnt ein Theaterstück: Vor mir steht eine Festung mit zwei Türmen. Von Norden kommen zwei große Vögel, die sich auf den Türmen niederlassen. Gemächlichen Tempos folgt von Osten eine Schildkröte. Und zwischendrin hüpft ein Frosch hin und her…. Ich vergesse die Zeit… Irgendwann komme ich wieder bei unserm Fahrzeug an. Unzählige Fotos habe ich gemacht, um diese Landschaft für mich festzuhalten. Aber die Stimmung beim Durchwandern der „Sahara el Bejda“ – der Weißen Wüste – kann nur im Geiste bestehen bleiben. Diese Landschaft verdankt ihre heutige Morphologie der Winderosion, die im Laufe der Zeit den hier an der Oberfläche befindlichen weißen Kalkstein ausgeblasen und so die vielen Kunstwerke hinterlassen hat. Wir suchen einen Übernachtungsplatz und fahren weiter nach Osten. Am Fuß eines großen Berges machen wir halt. Es wird langsam dämmrig. Wir klettern hinauf. Die Sonne steht knapp über dem Horizont und inszeniert ihr Schauspiel über dieser grandiosen Kulisse.
Am nächsten Morgen – nach einem erneuten ausgiebigen Spaziergang, immer mit gesenktem Kopf, um die vielen verschiedenartigen Pyritrosen, die hier überall liegen zu bewundern – fahren wir weiter. Aber schon nach ein paar hundert Meter biegen wir wieder von der Straße ab. Diesmal Richtung Westen. Wir kommen in ein Gebiet mit Dutzenden von „Bistrotischen“. Sogar Wasser und Wein wird hier angeboten …
Auf der Rückfahrt zur Straße passiert es dann: Das Getriebe der Ente (hatte ich schon erwähnt, dass wir mit einem 2 CV unterwegs sind?) versagt seinen Dienst. Die Zahnräder sind auf der Welle verrutscht – nichts geht mehr…
Schnitt
Vier Tage später: Wir sind wieder in der Weißen Wüste. Noch einmal wollen wir in dieser phantastischen Landschaft übernachten und uns von dem Stress der Getriebereparatur (erneuter Aufenthalt für vier Tage in Bawiti) erholen. Danach geht’s weiter nach Farafra. Diese kleinste der vier Wüstenoasen hat ihren ganz eigenen Charme. Nur die Haupt – und Durchfahrtsstraße ist asphaltiert. Es existieren noch einige ursprüngliche Lehmbauten, obwohl diese immer mehr von neuen Steinhäusern verdrängt werden. Von dem alten Qsar aus dem 18. Jahrhundert ist heute, seit den heftigen Regenfällen 1945, leider nicht mehr viel zu sehen. Wir spazieren durch den Ort und trinken Tee bis das Museum von Badr am Nachmittag öffnet. Der Künstler stellt in seinem selbst entworfenen Haus in verschiedenen Räumen das Leben in und um Farafra dar. Auf Bildern (Aquarelle und Sandbilder) und in vielen Skulpturen spiegelt sich der Alltag der Wüstenoase wider. In einem Außengelände befindet sich ein Phantasiegarten, in dem er seiner Kreativität freien Lauf lässt. Man kann hier Stundenlang in sehr angenehmer Atmosphäre die Zeit vergehen lassen. Badr Abd el Moghny ist mittlerweile über die Grenzen Ägyptens hinaus bekannt. Seine Bilder und Skulpturen konnte man bereits – außer in Kairo – auch bei Ausstellungen in Deutschland, England und Frankreich bewundern. In Farafra selber ist er schon lange sehr bekannt. So kann man an vielen Häusern des Ortes seine Malereien entdecken.
Über Abu Minquar, einem verträumten, direkt am Anfang der Dakhla-Senke gelegenen Dorf, geht es weiter. Im Westen liegt die Große Sandsee. Sie trägt ihren Namen zu Recht, denn wie Wellen erscheinen die Dünen in der Ferne. Manchmal reichen sie bis an die Straße heran. Ich laufe auf eine hinauf. Bis ins Unendliche scheinen die gleichmäßigen von Süd nach Nord verlaufenden Sandwellen hintereinander zu liegen. Wie einfach kommt man heute auf der Asphaltstraße voran. Ich muss an die Expedition von Gerhard Rohlfs denken, der sich hier vor ca. 130 Jahren durch die Libysche Wüste gekämpft hat. 1874 erreichte er Deir el Hagar. Er fand die römische Tempelruine völlig zusammengebrochen und mit Sand gefüllt vor. Er und seine Begleiter hinterließen an einer der Säulen ihre Namen. Anhand dessen, kann man heute gut das Niveau des Sandes erahnen. Mit viel Engagement begann er mit der Restaurierung des den Göttern Amun-Re , Mut und Kondschu gewidmeten Tempels.
Wir sind in Dakhla, der größten der Oasen der Westlichen Wüste. Wir fahren nach El Kasr, vor Allem bekannt durch seinen alten Ortskern in typischer Lehmziegelarchitektur. Es lohnt sich, einen ortskundigen Führer zu nehmen und mit ihm zusammen durch die engen Gassen zu spazieren. Durch ihn öffnet sich auch die eine oder andere Tür, hinter der es interessante Dinge zu entdecken gibt. Auch das kleine Museum ist durchaus einen Besuch wert. Die aufgeschlossene und freundliche Bevölkerung freut sich über jeden interessierten Besucher. Anschließend besichtigen wir noch eine Töpferei, in der die für die Region typischen Garas (Tongefäße zum Wassertransport) hergestellt werden.
Wir übernachten direkt am Abbruch, um am nächsten Tag weiter Richtung Mut zu fahren. Die Straße knickt nach Süden ab. Rechts und links der von Eukalyptusbäumen gesäumten Straße weiden Rinder auf den bewässerten frischgrünen Feldern. Hunderte von Kuhreihern spazieren herum. Die Bauern bringen ihre tägliche Ernte mit Eselskarren nach Hause. Das alles vor dem Hintergrund des steilen Felsabbruchs, der in der späten Nachmittagssonne in ein tiefes rosarot getaucht wird. Man fühlt sich in biblische Zeiten versetzt.
Mut ist der Hauptort der Oase Dakhla und bietet eine gute Infrastruktur. Wir kaufen frisches Gemüse, das leckere „Aisch baladi“ (das Landbrot, das es in ganz Ägypten zu kaufen gibt) und wieder einmal echten Käse ein. Wir besichtigen den Hügel am Ortseingang, auf dem ein neues landeskundliches Museum, initiiert von Dr. Rudolph Kuper (Heinrich-Barth-Institut/Köln) entstehen wird. In Mut steht der letzte von Hassan Fathy entworfene Gebäude-Komplex. Er sollte ursprünglich als Tourist-Village genutzt werden. Seit dem Tod des auch international bekannten Architekten, steht der Bau leer und wird mehr und mehr mit Müll angefüllt. Schade um die schöne, im traditionellen Baustil errichtete Anlage. Vielleicht findet sich ja unter den Sahara-Info-Lesern ein Interessent …
Weiter geht es Richtung Westen nach Balat. Ein sehr beschauliches, touristisch wenig bekanntes Dorf, mit einem sehr gut erhaltenen alten Ortskern in Lehmziegelarchitektur. Lange erkunden wir die verwinkelten Gassen. Da liegen noch alte Strohmatten, dort steht noch ein Teekessel und hier noch eine Gara. Manchmal sieht es aus, als kämen die Bewohner gleich zurück. Aber die Häuser sind verlassen; die Familien sind in neue Häuser umgezogen. Wir erklimmen eine schmale Holzleiter und können so vom ersten Stock aus über den gesamten Ort schauen. Alt-Balat gefällt mir noch besser als Alt-El Kasr. Es ist erstaunlicherweise wesentlich besser erhalten bzw. restauriert, obwohl nur sehr wenige Touristen ihren Weg hier her finden.
In der Nähe von Balat liegt Ain Asil, eine Siedlung aus dem Alten Reich, die von französischen Archäologen ausgegraben wird. Unzählige Tongefäße werden hier geborgen, sortiert und katalogisiert. Immer wieder findet man weitere Mauern und Gebäudereste. Es ist höchst interessant in dem Gelände herumzugehen. An verschiedenen Stellen sieht man schwarz verfärbten Boden, genau in der Form einer Tür oder eines Balkens. Offensichtlich fiel der Ort einst den Flammen zum Opfer. Warum genau diese einst blühende Stadt unterging, ist allerdings noch nicht bis ins Letzte erforscht. Für die Archäologen gibt es noch viel zu tun …
Von hier aus unternehmen wir eine Wanderung zum Escarpement (Felsabbruch). Den Rucksack gefüllt mit ausreichend Wasser und Lebensmitteln machen wir uns auf den Weg. Über alten Playa-Boden (Seeboden) und eine Sandebene geht es in steinigeres Gebiet. Einst flossen hier gewaltige Wassermassen. Anhand des abgelagerten Sandes und der Steine kann man genau die Fließrichtung und das Mäandrieren der damaligen Wasserläufe erkennen. An der Luv-Seite der abgelagerten Steine entstanden im Laufe der Zeit durch den Wind interessante Erosionsformen.
Es geht weiter bergauf. Wir müssen die ersten großen Steine überklettern. Es wird immer steiler. Da, mitten im Hang liegt ein auffälliger Stein. Tatsächlich ein neolithisches Werkzeug, eine Messerklinge. Eindeutig erkennt man die vielen kleinen „Zähnchen“ am Rand. Einer von vielen Beweisen, dass das Gebiet hier schon sehr lange von Menschen aufgesucht wird. Ich stehe vor einem flachen Abhang. Die Farbe des Untergrundes geht von Grau über Grünlich ins Beige und weiter dann ins Braune und Rote. Ich wandere über die geologische Erdgeschichte. Danach erklimme ich einen Schutthang. Drei Schritte vor, zwei zurück. Es ist heiß – alle paar Schritte nehme ich ein paar Schluck aus meiner Wasserflasche. Dann bin ich oben. Es hat sich gelohnt! Ein Blick zurück: Ein grandioses Panorama bietet sich uns über die Dakhla-Senke. Und oben, irgendwo vor uns, liegt die Abu-Muharrik-Düne. Uwe steht eine Anhöhe neben mir. Jeder genießt den Ausblick auf seine Weise. Wir müssen Abschied nehmen von diesem wunderbaren Aussichtspunkt. Schließlich wollen wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Wir klettern die Hänge wieder hinunter und wandern zurück durch die erodierten Felsgbilde, die in der späten Nachmittagssonne jetzt wunderschön rot leuchten.
Wir fahren zurück nach Mut. Dort haben wir Gelegenheit eine Ausstellung zu besuchen. Verschiedene Künstler haben, aus in der Natur vorkommenden Materialen (Sand, Steine etc.), moderne Kunst hergestellt. Auch zum Teil etwas skurrile Dinge sind hier zu bewundern. Interessante Gespräche ergeben sich. Später stehen wir zusammen mit den Künstlern und anderen internationalen Gästen vor dem Haus am Lagerfeuer, mit einem Glas kühlem Bier in der Hand unter sternen-klarem Himmel. Bei 25 Grad hören wir die Zikaden – es ist Mitte Februar – ich bin in einer der Oasen der westlichen Wüste in Ägypten … eine beinahe surreale Situation.
Mit uns zusammen besucht auch eine kleine Gruppe Archäologen aus Deutschland die Ausstellung. Sie wird begleitet von einem Filmteam, das Material für eine Produktion über die „Heiligen Tiere der Pharaonen“ sucht. Wir haben die Gelegenheit, mit ihnen zusammen eine Expedition in die Libysche Wüste zu unternehmen. Bereits wenige Tage später werden die Geländewagen mit Lebensmitteln und ausreichend Wasser beladen; die Tanks mit Diesel gefüllt. Dann geht es los. Nach ein paar Kilometern fahren wir von der Straße ab. Eine weite Sandebene liegt vor uns. Das Satelliten-Navigations-System leitet uns durch eine wunderschöne Landschaft. Zwischen dem gold-gelben Sand stehen phantastische, erodierte „Heinzelmännchen-Berge“, die uns an Hand der freiliegenden geologischen Schichten Hinweise auf das Klima der vergangenen Perioden geben. Es war hier einmal sehr viel feuchter als heute. Die Menschen lebten hier in einer Art Savanne und hinterließen ihren Alltag in Form von interessanten Ritzungen an den Felswänden. Wir besuchen einige der von Carlo Bergmann vor einigen Jahren entdeckten Orte und sind beeindruckt von der Lebendigkeit der Darstellungen. Auch Reibschalen und -steine sowie andere neolithische Artefakte beweisen die Anwesenheit von Menschen bereits vor sehr langer Zeit.
Während verschiedene Filmsequenzen an den Fundplätzen gedreht werden, wandere ich ein wenig durch die Gegend und genieße die wunderschöne Landschaft. Doch was ist das? Was liegt da am Lee-Hang eines der kleinen Berge? Runde Scheiben mit einem Loch in der Mitte. Ich laufe zurück und hole die anderen. Die sind erfreut über meinen Fund, haben sie doch hier noch keine dieser „Deckel“ gefunden; immer nur die „Töpfe“ dazu. Es handelt sich um die sogenannten Clayton-Ringe. Das sind konisch geformte Gefäße ohne Boden. Dazu gehören selbige runde Scheiben mit dem Loch in der Mitte. Die Scheibe ist etwas kleiner als der größte Durchmesser des „Topfes“, so dass sie genau hinein passt ohne hindurch zu fallen. Benannt wurden sie nach ihrem Entdecker Patrick Clayton (Expedition 1930/31), datiert – anhand von Kordelresten – in die späte prädynastische bzw. frühdynastische Periode; einer Zeit also, in der die Region bereits zu der ariden Klimazone gehörte. Zu welchem Zweck diese Gefäße hergestellt wurden, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
Es gibt verschiedene Vermutungen: Zum Brotbacken, zur Honigaufbewahrung oder als Skorpionfallen; aber vielleicht waren sie auch für einen ganz anderen Zweck bestimmt… [Literaturhinweis: „Clayton-Ringe: rätselhafte Keramik aus der Sahara“ in: Heinrich Barth-Kurier, Sonderausgabe zum 28. Mai 2002, Hrsg.: Heinrich-Barth-Gesellschaft].
Wir fahren weiter zwischen pyramidenähnlichen Hügeln über weite Sandflächen – über uns der stahlblaue Himmel. Dann taucht ein besonders interessanter Berg vor uns auf. Wir stellen die Autos ab und gehen zu Fuß weiter. Je näher wir dem Berg kommen, desto deutlicher erkennen wir eine Art Terrasse in wenigen Metern Höhe. Kurz danach stehen wir fast ehrfürchtig vor Hieroglyphen-Darstellungen – über und neben den Gravuren aus neolithischer Zeit. Das bedeutet, dass dieser Ort schon seit vielen Jahrtausenden von Menschen aufgesucht wurde. Die Entdeckung dieses Ortes im Jahr 2000 beweist die Anwesenheit der alten Ägypter hier bereits zu Zeiten der vierten Dynastie – weisen doch die Inschriften den Namen des berühmtesten Pharaos seiner Zeit auf: Cheops oder Chufu, wie er auch genannt wird. Bei einer ersten Untersuchung der Fundstelle entschlüsselte der Archäologe Dr. Klaus-Peter Kuhlmann vom Deutschen Archäologischen Institut eine weitere Hieroglyphen-Inschrift als „Wasserberg des Djedefre“ (Chufus Sohn). Weitere archäologische Forschungen lassen vermuten, dass hier Farbpigmente für die Malereien in den Königsgräbern abgebaut wurden. [Literaturhinweis: „Die Expedition des Cheops“ in: GEO Special Nr. 5 Okt./Nov. 2001]. Datierungen von hier ebenfalls gefundenen Heuschrecken bestätigt die Zeit um 2600 v. Chr. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl ausgesehen haben muss vor etwa viereinhalb tausend Jahren… In der näheren Umgebung gibt es viele Straußeneierschalen. Ich entdecke Reib- und andere bearbeitete Steine. Ich klettere auf einen der Nachbarberge, der oben ganz eben ist. Dieser Tafelberg ist übersäht mit versteinerten Muscheln, wie wahrscheinlich all die anderen Tafelberge in der Region auch; Relikte ehemaligen Meeresbodens. In der Sahara kann man wunderbare Zeitreisen unternehmen …
Zum Abschluss des letzten Tages lassen wir einen Kastendrachen aufsteigen, um Luftaufnahmen vom Chufu-Berg zu machen. Ein phantastischer Anblick: Der knallrote Drachen am Himmel über der einsamen Wüste! Am Abend finden sich Wolken am bisher klaren Himmel zusammen. Und auf einmal, was ist das? Es fallen Regentropfen – ungefähr 10 Stück auf meinen Teller. Nach ein paar Minuten ist es wieder vorbei. Aber dennoch ein Naturereignis in der Libyschen Wüste – Regen am Wasserberg des Djedefre! Noch lange sitzen wir zusammen und erzählen, bis sich jeder einen Platz irgendwo im Sand sucht, sich in seinem Schlafsack einrollt und vielleicht von den pharaonischen Esels-Karawanen träumt …
Der Abschied fällt uns schwer, aber wir müssen den Rückweg antreten – Richtung Kairo. Auf dem Weg dorthin erfahren wir in Farafra, dass es hier vor einigen Tagen so heftig geregnet hat, wie schon seit über 40 Jahren nicht mehr. Die Bevölkerung sei vor Schreck aus den Häusern gelaufen – so etwas hatten Viele noch nie erlebt. Die Weiße Wüste ist nicht mehr weiß, sondern durch den durchfeuchteten Kalk ganz beige. Die Sonne wird eine Weile „arbeiten“ müssen, bis diese Wüste ihren Namen wieder zurecht trägt.
Wir stehen auf ca. 180 Metern Höhe: Kairo liegt uns zu Füßen. Vom Kairo-Tower hat man einen grandiosen Blick auf diese „Wahnsinns-Stadt“. Wir erkennen all die Stadtviertel, die wir besucht haben, und Richtung Westen stehen die Pyramiden. Jetzt, von Ferne, sehen sie viel imposanter aus, als wenn man direkt davor steht. Von hier erkennt man, wie sehr sie wirklich alle anderen Gebäude der Stadt überragen. Man hat den Eindruck, als trotzen sie allem, was auf der Welt geschieht. Bei für Kairo ungewöhnlich klarer Luft geht die Sonne hinter den Pyramiden unter …
Am nächsten Tag bringt mich der Flieger innerhalb von vier Stunden zurück nach Deutschland – von 28 nach 0 Grad, von Sonne nach Schneeregen und von einem Land voller Kontraste und mit schier unendlicher Weite in ein Land, in dem man fast nirgendwo bis zum Horizont sehen kann …
Während der Tage mit den Archäologen habe ich gelernt, was es bedeutet einen Fundplatz zu entdecken. Und wie ernüchternd es ist, wenn man einen solchen Ort „abgesammelt“ vorfindet. Deshalb: Hinterlasst nur eure Fußstapfen und nehmt nur Fotos mit. Für immer unauslöschlich sind sowieso nur die Bilder im Kopf …