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Dez 5, 2022 | Nordafrika

Algerien im Herbst 2022 – Teil I


Aus dem Tagebuch von Astrid Schüler

Von Genua nach La Goulette

Wir haben den Hafen von Genua erreicht. Jetzt warten wir auf die Abfahrt der Carthage und sind dann 24 Stunden auf der Fähre. Vorher noch die Ausreisestempel und eine tunesische Sim-Karte besorgen. Pünktlich legt die Fähre in La Goulette an. Ein Gewusel, ab zum Auto, alles wieder einräumen, und schon geht es raus aus dem dicken Bauch der Fähre. Nun noch die Formalitäten, Polizei, Zoll. Und dann ab nach Nabeul zum Campingplatz.

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Nabeul, Camping Jasmin

Angekommen auf dem Campingplatz und gleich ins Restaurant nebenan. „Brique Oeuf“ ist Pflicht hier. In Blätterteig gebackenes Ei, wahlweise mit Thunfisch oder Fleisch. Dazu ein leckeres Celtic Bier. Es sind draußen 28°, was auch die Mücken schwirren lässt. Wie sich die Landschaft auf der Fahrt verändert! Von grünen Olivenhainen und knallgrünen Gewürzfeldern zu brauner Savanne. Berge begleiten uns auf östlicher und südwestlicher Seite. Und leider der Müll!! Der Müll, wie sehr mich das doch schockt. Im Lokal, blitzsauber. Die Märkte an der Strasse … Und so reizvoll und freundlich die Menschen. Ein bißchen wie 1001 Nacht. Es wird immer trockener, bald sind wir in Tozeur, ganz im Süden. Palmenhaine sind da, wo es Wasser gibt.

Nefta, Hotelparkplatz Carawanserail

Viele Eindrücke unterwegs. Warnung vor freilaufenden Kamelen. Ein großer Salzsee in der Ferne. Es geht Richtung Westen in die untergehende Sonne. Einen Übernachtungsplatz finden wir in Nefta auf dem Parkplatz des Hotels Caravansérail . Wir sind die einzigen Gäste. Das Hotel öffnet erst im November, wir werden aber bedient und bekommen unser „Anlegerbier“. Noch 25 Kilometer bis zur Grenze. Nächster Morgen, an der Grenze, das wird dauern. Erst Polizei, dann Zoll, dann Deklaration unserer Euros, Versicherung abschließen fürs Fahrzeug. Auto anschauen lassen. Mist, haben das Fernglas nicht versteckt, aber sie lassen es uns, um Vögel zu beobachten. Während wir warten, fahren zahllose Mercedes 200 Diesel, z.T. völliger Schrott, über die Grenze. Noch ein Foto mit einem Beamten, sie sind alle sehr freundlich hier. Nach über drei Stunden an der Grenze nach Algerien, wo uns Klikli (unser obligatorischer Targi-Führer) empfängt, geht es endlich weiter. El Oued, die Stadt der 1000 Kuppeln. Der Markt ist voll zugange. Die Menschen sind lebhaft auf der Strasse unterwegs. Wir werden mit Winken und Lächeln begrüßt. Keine steinwerfenden Kinder mehr wie in den 90er Jahren üblich.

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Touggourt

War schon lange, die Fahrt heute. In den zur Mittagszeit menschenleeren Ortschaften sind überall 30er Zonen und auf den Straßen alle paar Meter große asphaltierte Schwellen. Für uns nicht so gut, weil wir dadurch sehr langsam sind. Zwischendrin ist die Straße gesäumt von Palmen mit tiefhängenden Ästen voller Früchte. Palmenhaine in großen Trichtern. Nur die grünen Palmwedel schauen heraus. Unermüdlich werden die Palmen wieder freigeschaufelt, um sie bewässern zu können. Reizvolle farbliche Kontraste entstehen, während wir in die Dämmerung fahren. In Touggourt finden wir bald unseren Übernachtungsplatz im Hotel Oasis. In der Nacht rappelt es plötzlich am Mog. Diebe? Aber wir stehen auf dem abgeschlossenen Parkplatz des Hotels. Ich sehe noch zwei Hotelangestellte weggehen. Am nächsten Morgen ist die Schaufel weg. Einfach die Gurte mit einem Messer durchgetrennt. Wir wollen Geld holen, was sich als sehr langwierig entpuppt, drei Stunden dauert es! Weiter geht es mit Polizeibegleitung. Sind bis in die Dämmerung gefahren und haben irgendwo in den Dünen übernachtet. Am nächsten Tag nach Hassi Messaoud, eine Erdölstadt. Rauchwolken sind schon von weitem zu sehen. Die Strecke ist eher langweilig. Wann kommen wir endlich in Illizi an?

Cafe Bermuda Dreieck

Diese so bezeichnete Position ist ein besonderer Ort. Hier stand vor 20 Jahren noch ein alter, nicht fahrbereiter LKW, in dem ein Einsiedler lebte. Er bot den vorbeikommenden Fahrern, von denen er mit Wasser und Lebensmitteln versorgt wurde, Kaffee oder Tee an. In primitivster Form, glücklich, hier zu leben, immer lächelnd, ohne Zähne, gastfreundlich. Jochen war auf seinen Fahrten in den 90ern ein gern gesehener Gast. Nun ist der Mann verstorben, aber die Saharafahrer machen immer noch mal einen Halt und gedenken seiner. Weiter geht‘s in einem Gassi, einer flachen Ebene zwischen den Dünen. Es wird immer enger, zum anfassen nah, die großen Sandhaufen.

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Hassi Bel Guebbour.

Pause im Off. Eine Tankstelle, ein Café. Polizeiwechsel. Zwei sehr nette und aufgeschlossene Polizisten begleiten uns nun bis Illizi. Die Dünen sind erstmal weg, stattdessen kleine Tafelberge zu beiden Seiten. Helles und dunkles Gestein. Man schaut ins Unendliche.

Ohanet

Endlich am nächsten Übernachtungsort angekommen, dauert es eine halbe Stunde, bis die Polizei entschieden hat, wo wir uns zur Nacht niederlassen dürfen. Wir werden rund um die Uhr bewacht. Nicht, dass es besonders gefährlich wäre, aber seit den Entführungen 2003 ist der Tourismus ja völlig eingebrochen, und nun ist man sichtlich um uns bemüht und zeigt Präsenz. Erst ab Illizi werden wir mit unserem Führer Klikli alleine sein.

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Hassi Bel Guebbour

Pause im Off. Eine Tankstelle, ein Café. Polizeiwechsel. Zwei sehr nette und aufgeschlossene Polizisten begleiten uns nun bis Illizi. Die Dünen sind erstmal weg, stattdessen kleine Tafelberge zu beiden Seiten. Helles und dunkles Gestein. Man schaut ins Unendliche.

Ohanet.

Endlich am nächsten Übernachtungsort angekommen, dauert es eine halbe Stunde, bis die Polizei entschieden hat, wo wir uns zur Nacht niederlassen dürfen. Wir werden rund um die Uhr bewacht. Nicht, dass es besonders gefährlich wäre, aber seit den Entführungen 2003 ist der Tourismus ja völlig eingebrochen, und nun ist man sichtlich um uns bemüht und zeigt Präsenz. Erst ab Illizi werden wir mit unserem Führer Klikli alleine sein.

Mufflonsprung

Kurzer Stopp am Grand Canyon Algeriens. Die Abbruchkante des Tinrhert Plateaus mit dem sogenannten Mufflonsprung zieht sich bis nach Libyen. Unterhalb eine riesige Ebene, in der Öl-Pipelines und kleine Arbeitersiedlungen liegen. Bereits vor 20 Jahren, als Jochen in Algerien war, stand an dieser Stelle diese Telefonzelle ohne Funktion. Weiter geht‘s über eine recht eintönige Ebene. Bald sehen wir den Erg Bourarhet vor uns liegen, wie die Alpen schaut er aus, nur eben aus Sand. Die Formen, die der Wind entstehen lässt, sind wunderschön. Ein bisschen wie Baiser auf der Torte oder die Sahne auf dem Kuchen. Kurze Pause an einer Tankstelle, alle Tanks befüllen, 300 Liter für 50 Euro. Nun folgt die Steinwüste. Eine bis an den Horizont reichende schwarze Ebene. Wie aus dem Nichts, grüne Bäume und Sträucher, die Straße wird gesäumt von kleinen Dünen und einer Bergkette.

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Illizi, Stadt-Camping

Nach einem weiteren langen Reisetag endlich in Illizi ankommen, vorbei an dem markanten Fort de Polignac. Nun ja, der Campingplatz von Ahmed Zegri ist eher gewöhnungsbedürftig. Aber immerhin können wir mit einem Wasserschlauch duschen. Am Abend sind wir bei Ahmed eingeladen. Schuhe ausziehen, auf die Matratzen setzen, Hände waschen. Wir bekommen Couscous mit Hühnchen und Gemüse, zum Nachtisch Obst und schwarzen, zuckersüßen Tee. Sabine und ich dürfen zu den Frauen und Kindern im Nebenraum. Töchter, Schwiegertochter, Kinder, ein Baby. Alle kichern, sind verlegen. Wir werden sehr freundlich begrüßt, geben ein paar kleine Geschenke ab, doch Unterhalten ist nicht möglich, keine der Frauen spricht Französisch, geschweige denn Englisch. Später werden wir wieder zum Campingplatz zurückgefahren. Wir beschließen, heute noch hier zu bleiben. War doch recht anstrengend. Die Strecke von der algerischen Grenze bis Illizi 1332 Kilometer, bei einem Schnitt von 50 bis 60 km/h. Heute Abend noch mal bis zum Anschlag volltanken, denn morgen geht‘s endlich ins Gelände. Ohne Polizei!! Die nächste Tanke ist erst wieder in Djanet. Es ist für mich alles so unfassbar, unglaublich und neu, ganz anders als alles, was ich bisher vom Reisen kenne. Man kann dieses Land nicht durch Erzählen und Bilder wiedergeben. Fragt nicht, was mich hier so verzaubert, ihr müsst es selbst erleben.

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Übernachtung im Oued Samene

Jetzt geht‘s endlich auf die Piste. Mal sandig, mal steinig, mal auf und mal ab, nicht in irgendeiner Form befestigt oder markiert, aber eindeutig sichtbar. Nach einem tollen Aussichtspunkt, wo Skarabäuskäfer-Spuren zu sehen sind, kommen wir an eine Wasserstelle, alles hier ist sooo grün. Unter einer großen Akazie neben der Piste machen wir Pause. Ganz schön viel Kriechgetier hier. Große Ameisen, die mich beißen. Der Baum ist voller Vögel, und es geht recht laut zu. Sogar einen Moulamoula (Weißbürzel-Steinschmätzer) sehen wir! Der Untergrund wird weich. Wir müssen Luft aus den Reifen lassen. Von 4,5 auf 2,5 Bar. Schlafplatzsuche. Vor einer großen Düne finden wir einen schönen Platz. Klikli schreibt hier unsere Namen auf Tifinagh (Touareg-Schrift) in den Sand der Dünenkante.

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Erg Issaouane trifft Erg Tifernine

Im Westen die Berge des Oued Mellene, im Osten die Dünen des Erg Issaouane. Dazwischen immer wieder monotone, flache Landschaft, die aber hier und da mit Grün aufgepeppt wird. Eine Augenweide, die mir auch immer wieder mal ein „Whow“ entlockt. Gräberpiste wird die Strecke genannt. Nicht weil sie so gefährlich ist, sondern weil entlang der Piste Gräber von Franzosen aus der Kolonialzeit liegen. Sie sind mit Steinen deutlich markiert und völlig intakt. Palmen und andere Bäume zeigen schon von weitem, da ist Wasser, ein Bir (Quelle) oder Hassi (Brunnen). Wir treffen auf Tuareg, die ihre Kamele suchen. Es ist die Zeit der „Babys“. Die Kamelkuh muss gemolken werden, ein mühsames Unterfangen. Bitterkürbisse liegen überall herum, doch sie schmecken wohl nur den Eseln, die hier vorbeiziehen, für uns sind sie ungenießbar.

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Übernachtung südlich des Gara Kranfoussa

Auf dem Weg zum Gara Kranfoussa haben wir einen Spitzen-Übernachtungsplatz gefunden. Wir verschwinden wegen starken Windes in einer Dünenkuhle. Natürlich klettern wir die Düne hoch. Habt ihr eine Vorstellung, wie hoch das ist? Wie unendlich weit? Das funktioniert nur real. Im Sand finden wir in gleichmäßigen Abständen kleine Sandhäufchen. Sie stammen von hier lebenden Sandfischen, einer Eidechsenart, die man so gut wie nie zu sehen bekommt. Wir leider auch nicht. Gara Kranfoussa bedeutet Zeugenberg. Der Versuch, dorthin zu fahren, scheitert, weil die Dünen zu steil sind. Doch es gibt noch eine andere Piste, aber Klikli meint, die könne man nicht mehr fahren. So tasten wir uns auf dieser anderen Piste so nah wie möglich an den Berg heran. Dann steigen wir aus und laufen zu Fuß auf eine Anhöhe. Ja, man sieht ihn in voller Größe. Wie der Rücken eines Käfers schaut er aus dem Sand. Man kann ihn auch besteigen.

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IGN 61, Franzosenpiste zum Gara Kranfoussa

Mithilfe von Koordinaten einer früheren Reise haben wir die Franzosenpiste wiedergefunden. Ist ein wenig verweht. Wir rufen die anderen über Funk zurück. Jochen will es wissen. Drei riesige Hügel sind zu überqueren. Sabine hat den stärksten Wagen. Ich fahre mit ihr, um die Strecke zu checken. Das war Adrenalin pur, mit Vollgas über die Piste und die drei steilen und plötzlich abfallenden Hügel. Der Mog hätte es langsam krabbelnd geschafft, aber der andere Mitfahrer hat keine Erfahrung und traut es sich nicht zu. Nun, so lassen wir es und fahren ins Oued Mellene, ein etwa fünf Kilometer breites Trockenflussbett, auch als Reibschalen-Tal bezeichnet. Das macht Spaß, entlang des Erg Tifernine mit den höchsten Dünen der Welt, über 400 Meter über Grund. Hier können wir Gas geben. Mit 60 km/h rauf und runter. Das lange Tal immer vor Augen. Wir halten Ausschau für die nächste Nacht, fahren einfach auf die riesige Düne zu und finden einen Panoramaplatz. Leider ist heute abend viel Wind, so dass bald alles voll mit feinem Sand ist. Die Zähne knirschen, die Haut bekommt ein Dauerpeeling. Aber die Aussicht ist grandios. Ich laufe am Dünenrand einmal um diese Düne. Riiiiiesig.

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Zeitlupentour durch die Bachbettpiste

Das war ein Erlebnis ohnegleichen! Der Einstieg war schon ein Abenteuer. Wir mussten uns mehrmals den Weg freiräumen von großen Granitbrocken, damit der Mog dran vorbei kommt. Mit Hebestange, Steine unterlegen oder wegrollen. Oder mal eine Rampe bauen, damit er darüberfahren kann. Die Piste ist schmal, aus meist runden Steinen, aber überhaupt keine gerade Fläche. Schnittgeschwindigkeit 3 km/h. Wäre eine coole Wanderung zu Fuß gewesen. Alle sind froh, es ohne Autoschäden geschafft zu haben. Wir müssen unsere Route ändern, weil wir mehr Zeit als geplant brauchen. Der Mog ist zu langsam und die Wege oft schwieriger als erwartet zu befahren. Viele Pausen zum Fotografieren oder Besprechen. Also wieder zurück Richtung Illizi. Auf einer breiten Piste durch die Dünen des Erg Amastane, viel kleiner als die anderen Dünengebiete.

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Zum Ain el Hadjadj

Der Brunnen Ain el Hadjadj ist unser Ziel. An dem alten Gemäuer des französischen Forts finden wir Blechdosen, mit dem Ablaufdatum vom 02.02.1916! Über 100 Jahre alter Müll und noch gut zu erkennen. Der Brunnen wurde modern mit einer neuen Solar-Pumpe ausgestattet. Das Brunnenwasser sieht zwar brackig aus, aber man kann es bedenkenlos trinken. Kamele sieht man hier eher selten. Dafür aber wunderschöne Akazien. Doch Vorsicht vor den riesigen Stacheln. Schon manch einer ging durch den Schuh oder womöglich in den Reifen. Also lieber ein paar Meter entfernt parken. Die Farben der Sahara, eine Augenweide, ich kann mich nicht satt sehen. Okay okay, immer nur Sand, denkt manch einer, aber im Wald stehen auch nur Bäume.

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Plateau Fadnoun

Erst mal geht‘s über das Plateau Fadnoun. Eine lange Strecke, schwarzes Gestein, meist Granit. Zum Glück asphaltiert. Jochen kennt es noch als Piste, die war mühsam zu fahren. Aber selbst die Steine bieten hier und da ein schönes Bild. Fast wie aufeinander gestapelt bilden sie kleine und große Türme. Wir nehmen den Abzweig nach Afara. Zu den Felsensäulen. Unterwegs halten wir an Jahrtausende alten Felsmalereien an. So gut erhalten, als wären sie gestern gemalt worden.

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Das Wetter ist durchwachsen, viele Wolken, zwischendurch Sonne, später zieht es ganz zu und regnet. Die Aussicht ist traumhaft, über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, und wie ist‘s in den Wolken? Immer wieder höre ich Murmeltiere pfeifen, sehe sie meist nur, wenn sie sich bewegen.

Ich verlasse den Camping und mache mich zum Sommeiller auf, dem angeblich höchsten legal befahrbaren Punkt der Alpen, auf 2.995 m liegt der Parkplatz. Ein kleiner See, wohl Reste eines Gletschers, eine verschlossene, architekturpreiswürdige Schutzhütte und eine kleine Wanderung ca. 100 Höhenmeter einen Grat hinauf zum Genießen und ja, auch zum Fotografieren. Hier oben ist die Luft schon merklich dünner.

Auf dem Parkplatz des Rifugio Scarfotti, auf ca. 2.160m Höhe, mache ich Brotzeit, bleibe ich eine Weile und genieße die Aussicht.

Da es hier so ruhig und friedlich ist, trotz der manchmal aufdringlichen Esel, beschließe ich, hier zu übernachten. Die Nachbarn bedauern, sie haben ihr Zeug noch auf dem Camping. Achim, der Syncrofahrer mit einem Hund, und Laura und Silas mit zwei Hunden und einem Oldtimer-Mercedes G, wollen ebenfalls übernachten.

Am Hang gegenüber scheint eine kleine Höhle zu sein, ich wandere hinauf, es ist keine Höhle, sondern eine Quelle. Hier setze ich mich auf einen Felsen, beobachte die Grashüpfer, die Schmetterlinge, die Wolken, die Berge, eine 4×4-Reisegruppe, die gegenüber die Piste hochkrabbelt, lausche dem Kuhglockengeläut der Herde unter mir. Ein dermaßen friedlicher und entspannender Augenblick, den ich so genieße, dass ich mich erst eine gute Stunde später wieder auf den Weg hinab mache.

Das Refugio macht für den Winter dicht, die Müllabfuhr leert die Tonnen und platziert sie hinter dem Gebäude, wir machen uns jeder sein Abendessen und setzen uns danach um ein Lagerfeuer.

Am nächsten Tag beschließen wir, gemeinsam auf den Jafferau zu fahren, von unserer Seite aus; der Startpunkt bei Bardoneccia liegt fast neben der Zufahrt der Sommeiller-Strecke. Zwischendurch einkaufen und tanken, fahren wir über das Forte Föens nach oben. Dort erzählen uns entgegenkommende Motorradfahrer, dass die Strecke auf der anderen Seite zwischen dem Tunnel nach Salbertrand wegen eines Erdrutsches unpassierbar sei, nur mit schmalen Motorrädern kommt man zwischen den Felsbrocken noch durch. Genau die Strecke, die die Campingplatznachbarn vor zwei Tagen noch gefahren sind.

Wir fahren erstmal weiter, hoch zum Fort Jafferau, wo es wieder zu regnen beginnt, so dass wir auf eine Besichtigung verzichten und zurück Richtung Salbertrand und durch den Tunnel fahren. Hinter diesem können auch drei Fahrzeuge stehen und vor allen Dingen wenden.
Wir laufen ungefähr einen Kilometer bis zur Erdrutschstelle, wirklich, das Holz der abgebrochenen Bäume ist ganz frisch, die Strecke für Fahrzeuge wesentlich breiter als ein Radl nicht passierbar. Also wieder dieselbe Stecke zurück, im Ort trennen wir uns, ich will nach Frankreich, Laura und Silas müssen Richtung Heimat, Achim hat noch mehr Zeit. Beneidenswert.
Über den höchsten Alpenpass, den Col d´Izoard, und weiter den Col Dell´Agnello fahre ich ins Mairatal. Den Camping Lou Dahu in Marmora im Mairatal hab ich als Tipp bekommen, dort lege ich einen Ruhetag ein, mal einen Tag lang nicht fahren.
Die Info, dass die Maira-Stura-Grenzkammstraße wegen Bauarbeiten geschlossen ist, bestätigt sich hier, aber von der Ostseite kann man das schönere Stück einen Gutteil entlangfahren. Leider spielt das Wetter nicht so mit, Nebel und Wolken, bis es mittags etwas aufreißt, da bin ich schon auf dem Rückweg.

Ich suche mir einen Camping Municipal aus und lande in St.-Andre-des-Alpes, zahle keine 20 Euro für zwei Tage auf einem wunderschönen Camping unter Kiefern. Eine Wanderung zum nächstgelegenen Hügel, auf dem steinerne Statuen der Heiligen Peter und Paul stehen, mit traumhafter Aussicht auf den Stausee, eine Menge Gleitschirmflieger und einem neugierigen Grashüpfer zu meinen Füßen.
Über einige Pässe komme ich am Nachmittag zum Lac du Mont Cenis, wo ich spontan beschließe, zu übernachten. Ein traumhafter Sonnenuntergang, blauer Himmel spiegelt sich im ebensolchen Lac.
Weiter durch Liechtenstein nach Österreich zum Sylvretta, wo ich übernachte. Über den Reschen fahre ich nach Südtirol, will dort zumindest noch eine Nacht bleiben. An der Grenze hält mich die Guardia di Finanza an, will wissen, ob ich Benzin in Kanistern dabei habe. Anscheinend gibt es aufgrund in Österreich billigeren Sprits einen erheblichen Benzinschmuggel von Österreich nach Italien … Diesel scheint die Herren nicht zu interessieren.
In einer endlosen Schlange von Tupperware (Wohnmobilfahrern), Traktoren mit Mords-Anhängern zur Wein- und Obsternte, Touries, viele BMW-Motorräder, von älteren Herren gesteuert (gibt’s eigentlich auch BMWs, die von jüngeren Herren oder Frauen gesteuert werden?) und Einheimischen kriechen wir Richtung Meran. Richtig, nächsten Dienstag ist ja Feiertag in D, langes Wochenende, das Wetter traumhaft und Törggelen ist auch angesagt. Da werde ich keinen freien Campingplatz mehr finden, die sind sicher seit Monaten ausgebucht. Nach einem Blick auf die Karte und einer Pinkelpause, bei der mich eine Gottesanbeterin misstrauisch beobachtet, entschließe ich mich, vorzeitig nach Hause zu fahren und lieber noch ein, zwei Motorradtouren zu unternehmen.

Von Meran über Dorf Tirol, Jaufen, Brenner und Mittenwald gehts schließlich heim.
Am nächsten Tag, Freitag, mache ich noch eine Tagestour mit meiner Royal Enfield Himalayan. Früh los, über den Sylvenstein, an dem ich bereits den ersten (Foto-)Stopp einlege, da über dem Wasser Nebelwolken treiben, die es über die Staumauer weht, das hatte ich bisher noch nie erlebt.
Am Achensee vorbei, ein Stück Inntalautobahn die Brenner-Bundesstraße hoch, am Brenner erstmal anhalten und in Ruhe einen Cappuccino genießen, danach rauf aufs Penser Joch. In den Kurven und Kehren folge ich zwei großen Reiseenduros mit italienischen Kennzeichen, könnte sogar schneller fahren, nur auf den längeren Geraden fahren sie mir mit meinen 24,5 PS davon. Auf dem Penser Joch die Aussicht genießend verzehre ich meine mitgebrachte Brotzeit.
Den Abstecher zur Sauburg und zum Noafer hebe ich mir für ein andermal auf, es ist schon spät, weiter zum Timmelsjoch, dort die Ausstellung auf der Passhöhe angeschaut. Das Gebäude kenne ich aus diversen Online-Architekturzeitschriften, es ist durchaus sehenswert. Bei der Abfahrt in einer Kehre weiter unten schmiert mir das Hinterrad kurz weg, fängt sich gleich wieder, war vielleicht ein Ölfleck oder ein Steinchen. Glück gehabt, muss auch mal sein.
Weiter unten 16 Euro Maut für eine einfache Motorradfahrt abgedrückt (Österreich ist nicht billig …), das Motorradmuseum wird ebenfalls für ein andermal aufgehoben. Durch kurzen Stau in Imst und viel Verkehr über den Fernpass, Ehrwald, Garmisch wieder heim nach Tölz.

Anmerkungen
Wenn ich mich nicht verzählt habe, waren das in den zwei Wochen insgesamt 30 Pässe, wenn man die Assietta und die Maira-Stura-Kammstraßen je als einen zählt, obwohl es dort jeweils über mehrere Pässe geht; aber auch Fort Jafferau, das eigentlich kein Pass ist, sondern eine Festung auf einem Gipfel. Kehren hab ich nicht gezählt; wen‘s interessiert, kann das ja z.B. auf alpenpaesse.de oder alpenrouten.de googeln. Gesamt knappe 3.150 km, davon knappe 2.700 mit dem Land Rover und 450 mit dem Motorrad. Der große Vorteil vom Defender ist, dass ich damit auf diversen Pässen etc. wild campen konnte (mit Klo an Bord). Das ist mit dem Motorrad wesentlich schwieriger.