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Dez 5, 2019 | Nordafrika

Guinea/Bissau-2019 – kleines Land an großen Flüssen

Reisebericht von Hans Peter Hauschild

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Während die Franzosen die Casamance beherrschten, kontrollierten die Portugiesen den Rio Cacheu, die Entfernung zwischen beiden Flüssen beträgt nur rund 30 Kilometer. Der Cacheu windet sich natürlich und wild mit vielen kleinen Zuflüssen durch Mangrovensümpfe von Ost nach West zum Meer.

Nur wenige Kilometer südlich der Grenze liegt São Domingos, die erste Stadt in Guinea-Bissau. Von hier aus gelangt man auf brüchigem Teer Richtung Osten und Süden zur Hauptstadt Bissau. Nach Westen zum unberührten Atlantikstrand gibt es nur eine 50 Kilometer lange Sandpiste, teils durch dichten Busch. Früher abenteuerliche Holzbohlenbrücken über die Flussarme sind durch Betonbrücken ersetzt worden. Nach drei Stunden ist Varela erreicht, 30 Kilometer menschenleerer Traumstrand trennen uns von den Hotels im Senegal. Eine Flussmündung und die Grenze ohne Übergang verhindern noch die Ausbreitung des Tourismus in dieses Paradies.

Und doch gibt es auch in Varela seit längerem für Touristen ein Campement „Chez Helene“, noch zu Kolonialzeiten entdeckten die Portugiesen den Ort und den Strand als traumhaftes Ausflugsziel, verfallener Beton am Strand erinnert an die Anfänge.
Eine junge Frau, Tochter einer Hotelbesitzerin in Bissau, betreibt in Strandnähe ein nagelneues Touristendorf. Hübsche Rundhäuschen laden ein, und wir mieten eins, mit Bett und Bad für zwei Nächte. Es gibt Superessen mit gekühltem Vinho Verde und Tagesausflüge zu Fuß zum Strand, an dem sich genau eine (!) Familie aus Bissau mit Sonnenschirm und Strohhüten zum Baden aufhält. Ohne weitere touristische Einrichtungen, fast ohne Dorfbewohner und Fischer, wandern wir stundenlang allein an diesem Strand entlang.

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Der Weg nach Bissau wieder über São Domingos, wenn auch geteert und nur 200 Kilometer weit, hat es in sich. Jede Querung eines Flusstals gerät zur Tortur für das Fahrzeug. Die Teerstraße ist zwar auf einem Lateritdamm gebaut, der aber bei Hochwasser durchweicht, die Straße bricht unter dem Gewicht schwerer Fahrzeuge ein. Schlagloch an Schlagloch macht den Teer unbefahrbar, die schmalen Pisten daneben sind auch nicht besser, jetzt in der Trockenzeit knüppelhartes Wellblech. Lkws, Busse und Geländewagen knallen über die Schlaglöcher hinweg, für uns heißt es aber: vorsichtig die Piste entlang schaukeln und jede Panne vermeiden.
Die beiden breiten Flüsse Rio Cacheu und Rio Mansoa werden auf großen Brücken überquert, eine Gebühr ist fällig, eine Quittung wird in der Mautstelle ausgestellt. In den neunziger Jahren gab es noch Fähren, lange Wartezeiten gehörten zum Alltag und verschafften kleinen Händlern ein Einkommen.

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Bula ist Kreuzungsort, nach Westen geht’s über Canchungo im Bogen wieder nach Norden in die kleine 450 Jahre alte portugiesische Kolonialstadt Cacheu am Südufer des gleichnamigen Flusses. Seit von hieraus keine Schiffe mehr nach Portugal abfahren, bleibt die Zeit stehen. Träge fließt der Cacheu vorbei, mit dem Einbaum kann man eine Mangroventour ans Nordufer machen, ein Flussarm erreicht sogar den Stadtrand von São Domingos. Reisende machen selten den Abstecher hierher, sehenswert ist vor allem das von schneeweißen Mauern umgebene ehemalige Fort am Fluss, in dem etliche aus dem ganzen Land zusammengetragene Statuen portugiesischer Eroberer auf ihr Ende warten. Ein schöner kleiner Ort zum Verweilen, Beobachten, Genießen, es gibt Palmen und Fisch, einige einfache Restaurants und eine ruhige Zeit.
In Safim kurz vor Bissau trifft die Straße aus dem östlichen Landesinneren auf die Nord-Süd-Achse. Der Zustand wird schlechter, dichter und chaotischer Verkehr beginnt, rechts die Absperrung des Flughafens, dann ein Kreisverkehr und die vierspurige Zufahrt in die Hauptstadt.Andreas Goll lebt seit Jahrzehnten hier in Bissau, er hat direkt neben der jetzigen Autobahn ein kleines Campement mit Häuschen und Pool zwischen einigen Industriegebäuden aufgebaut und bietet einen ruhigen Übernachtungsplatz mit Selbstversorgerküche. Das Restaurant ist bei unserem Besuch geschlossen, gegenüber neben der Tankstelle können wir einkaufen.

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Der Verkehr in die Stadt ist stressig und stockend, das Leben dort aber sehr entspannt. Kleine Supermärkte dienen der Versorgung, im dritten finden wir den Vinho Verde aus Varela, nicht alle Geschäfte führen alkoholische Getränke. Das Leben und Marktgeschehen am Straßenrand ist afrikanisch eng und wuselig, aber auch entspannt und ohne Hektik, in Ruhe aussuchen und handeln erwünscht.
Immer geradeaus und bergab erreicht man automatisch den Hafen am Rio Géba, der hier schon fast Teil des Atlantiks ist. Wo 1998 noch eine schöne Teerstraße am Fluss entlang führte, ist heute nur noch eine Schlaglochpiste vorhanden, in der Regenzeit geht’s dann von Pfütze zu Pfütze. An verfallenden Lagerhäusern vorbei zum ehemaligen portugiesischen Fort, drum herum die kleinen Häuser der Altstadt, noch stehen einige der alten schattenspendenden Bäume.

In Bissau beginnt 1959 der Aufstand gegen die Kolonialherrschaft, das Massaker an den Dockarbeitern von Pindjiguiti schreibt Geschichte, die riesige steinerne schwarze Faust am Hafen erinnert eindrucksvoll daran. Der Partei PAIGC unter Führung des legendären, 1973 ermordeten Dichters Amilcar Cabral – sein Mausoleum und sein Denkmal stehen in Bissau – gelingt es in diesem kleinen Land, das 500 Jahre alte portugiesische Weltreich militärisch zu besiegen und in Portugal 1974 die sogenannte Nelken-Revolution auszulösen. Doch die Unabhängigkeit bringt außer Freiheit nicht viel: Ausbeutung, Korruption, Umstürze, Militärputsche, Drogenkartelle, Diktaturen und Morde wechseln mit Neuanfängen, Wahlen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Wir fahren an der gerade wieder aufgebauten Präsidentenvilla am Platz der Nationalhelden vorbei, 18.00 Uhr – zum Wachwechsel ein Trompetensignal, der Verkehr stockt, Gedenkminute, dann geht’s weiter.

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Von Bissau und anderen kleinen Häfen aus tuckern Schiffe und Motorboote zu den Bijagos Inseln hinüber. Sie liegen südwestlich vor der Küste und bieten vielfältige Einblicke in Natur und Kultur, einige bleiben lange von der modernen Zeit unberührt, stehen unter Naturschutz, nicht alle dürfen betreten werden. Andere sind touristisch erschlossen und besonders bei französischen Anglern beliebt. Überfahrt und Aufenthalt sind nicht gerade preiswert. Auf Bubaque gibt es Überreste der letzten deutschen Kolonie in Afrika, zwar niemals deutsches Hoheitsgebiet, aber bis 1943 betreibt eine deutsche Firma große Plantagen zur Produktion von Palmöl mit den dazugehörigen Verarbeitungs- und Transportstrukturen.
Über Mansoa fahren wir nach Osten ins Landesinnere bis Bambadinka. Orte sind mit vielen bunten Flaggen geschmückt, die Parlamentswahl steht bevor, und jede Partei lässt ihre Flagge wehen. Am Straßenrand sind allerlei Waren zum Verkauf an die Durchreisenden aufgestellt, Lehmziegel und Strohmatten wechseln ab mit Holzkohle, Lebensmitteln und Früchten. Kinder bewachen die schlechtesten Straßenabschnitte, füllen Schlaglöcher mit Sand und halten Stricke über die Fahrbahn, um sich mit ein paar Francs dafür belohnen zu lassen.

Vor Bambadinka quert eine Brücke den Géba, wir verlassen die Hauptstrecke, nach Süden zieht sich das Teerband durch dichten grünen Regenwald vorbei an wenigen Dörfern. Saltinho (Kleiner Wasserfall) heißt der Ort, nahe dem eine massive Brücke den Rio Corubal überquert. Die flachen Felsformationen und ausgedehnten Stromschnellen im breiten Fluss sind seit alter Zeit eine Furt, vor der Brücke hatten die Portugiesen hier einen Felsendamm durch den Fluss gebaut, die Zufahrten und Reste davon sind noch zu sehen. Der wilde Corubal war im Unabhängigkeitskrieg lange die Front, das Land südlich nach Guinea hin war befreit, nördlich hielten die Portugiesen noch stand. Auf dem Hügel vor der Brücke ist heute eine Art Campingplatz, mangels Touristen etwas verfallen und wenig genutzt, von hier hatte man damals ein gutes Schussfeld auf die Furt.

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Die Stadt Buba eine knappe Stunde Fahrzeit entfernt ist ein alter mit den Gezeiten trocken fallender Hafen, etwas trostlos vor sich hin dämmernd, ein rostiger Frachter verstärkt das Bild. Vorher kann man nach links auf eine Piste Richtung Guinea abbiegen. Mit Visum und Glück schafft man die Grenze und die Fähre in Kandiafara über den Kogon, um dann bei Boké tiefer ins marode Straßennetz Guineas einzufädeln. Vor Grenzübertritt heißt es abwarten und Fahrer entgegenkommender Fahrzeuge nach der Funktion der Fähre befragen. Meist bekommt man im senegalesischen Ziguinchor ein Guinea-Bissau-Visum mit zwei Einreisen, sollte man hier ausreisen und nicht weiterkommen, ist das sehr nützlich für die Wiedereinreise.

Der südlichste Punkt unserer Reise zwischen dem 11. und 12. Breitengrad liegt hinter uns, über Mansoa und Mansaba kommen wir auf nagelneuer Teerstraße gut Richtung Farim voran, Begrenzungspfähle, Kilometersteine, weiße Markierungen – alles ist da, aber keine Autos, kein Gegenverkehr, keine Fahrzeuge vor und hinter uns – das sollte zu denken geben. In einem größeren Ort treffen wir Maskenmenschen, in roten Kostümen und mit Macheten bewaffnet wandern sie in Gruppen die Straße entlang. Traditionelles Afrika trifft moderne Infrastruktur. Leider versäumen wir es, jemanden nach der Bedeutung der Masken zu fragen.
Farim liegt nördlich des Rio Cacheu. Als wir am Südufer ankommen, klärt sich die Lage, ein einsamer Lkw wird entladen, Einbäume bringen die Ladung über den selbst hier im Binnenland noch breiten Fluss. Die Fähre liegt am Ufer neben dem Anleger und rostet defekt vor sich hin. Deshalb also kein Verkehr, hier ist Schluss.

Nein, nicht ganz, am anderen Ufer erspähen wir eine winzige Ersatzfähre. Es passt genau ein Pkw drauf, und auf intensives Pfeifen und Winken hin macht sie sich nach einiger Zeit auf den Weg. Unser VW Bus wird hinauf manövriert und mit lautem Knattern legt diese Uraltminifähre ab. Immer wieder überrascht Afrika mit Problemen und Lösungen.

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In Farim sind Ausreiseformalitäten zu erledigen, wir schließen uns dem Buschtaxibus zur Grenze an. Er wird nach jedem Stopp von den Fahrgästen angeschoben, die Frauen bleiben dabei drin sitzen, so macht es mehr Spaß. Die breite Piste Richtung Tanaff in der Casamance ist hart und holprig, im Grenzort kontrolliert ein unangenehmer Soldat die Fahrzeuge. Er hat keinen Ausreisestempel für unser Carnet parat, spricht auch nur Kreol, wir finden nicht zueinander. Der Buschtaxibus entfernt sich, neben der Grenzkette sitzen etliche Zuschauer auf einem Baumstamm und ergötzen sich an den Ereignissen, die hier zu erwarten sind, in einem Ort, wo sonst absolut nichts los ist. Es ist schon klar, der Soldat will etwas haben vom Touri, er verlangt nach unserem Kennzeichen. Da ich ihn absichtlich missverstehe, schraube ich die Kennzeichen ab und bringe sie ihm. Die Zuschauer sind auf meiner Seite und applaudieren, Herr Soldat ist not amused. So geht es einige Zeit, dann wird jemand geholt, der vermittelnd eingreifen soll, er gibt mir zu verstehen, man möge sich doch irgendwie arrangieren. Schließlich wechseln ein paar saure Apfelsinen aus unseren Vorräten den Besitzer, und die Kette senkt sich, einen Stempel haben wir nicht, aber die Zuschauer winken uns noch lange nach.

Der Grenzposten im Senegal ist unbesetzt, eine Militärkontrolle verweist uns an den Zollbeamten, der auf dem Markt in Tanaff unterwegs sei. Wir finden ihn, und er stempelt das Carnet in unserem Auto, den Koffer mit Stempel und Dokumenten hat er immer dabei. Mit Glück kommen wir rechtzeitig zur Fähre über die Casamance nach Sedhiou. Sie verspätet sich etwas, und wir warten, dabei treffen wir Jefferson, einen brasilianischen Missionar, der mit seiner Familie in Sedhiou lebt und uns noch sein Solar-Öko-Haus zeigt. Er rät uns, im Nachbarort Diendé auf der Banta Batoo Lodge (mit Pool) zu übernachten. Ein toller Tipp, der Platz steht nicht im Reiseführer und ist ein großartiger Ort hoch oben über dem träge zwischen grünen Ufern dahinziehenden Fluss.

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Wir genießen lange den weiten Blick nach Westen in den Sonnenuntergang und unseren Traum von Afrika.