Mauretanien 2022 – Drei Wochen durch das Land der Nomaden
Reisebericht von Brigitte Würger
Wo willst du hin – Mauretanien? Wo liegt das nochmal? Du meinst aber nicht Marokko? So oder ähnlich waren die Fragen aus meinem sozialen Umfeld und von Nicht-Saharareisenden.
Fragen zu einem Land, dreimal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland mit circa vier Millionen Einwohnern. Dabei sind 80% des Staatsgebietes unbewohnt, und das Land besteht zum größten Teil aus Wüste.
Ein freies Leben in der Wüste bleibt trotz aller Modernisierung, die gerade in Mauretanien in rasantem Tempo Einzug gehalten hat, das Ideal vieler Mauren. Dennoch geht der früher hohe Anteil an Nomaden stark zurück, und etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung wohnt bereits in Städten, mit sichtbaren Umweltbelastungen. Da sich der Tourismus in Mauretanien in Grenzen hält und noch die Möglichkeit besteht, etwas von dieser nomadischen Tradition mitzubekommen, buchte ich bei dem mir von vielen anderen Wüstenreisen bekannten und bewährten Spezialveranstalter schon vor zwei Jahren diese Reise. Nach pandemiebedingten Verschiebungen war es dann endlich soweit. An einem frühen Morgen im März 2022 landeten wir in Nouakchott, via Casablanca. Die Einreise war völlig komplikationslos, und das Visum wurde gegen Barzahlung von 50 Euro sofort ausgestellt.
Nouakchott / Atlantik / Banc d’Arguin
Die Hauptstadt Nouakchott mit etwa einer Million Menschen begrüßte uns gleich am ersten Tag mit einem heftigen Sandsturm. Und wir dachten mit einer gewissen Schadenfreude, der Sandsturm hätte sich bereits weiter nach Norden bewegt, um letztlich den Sandstaub nach Europa zu tragen.
Wir erlebten deshalb gleich am ersten Tag die erste Programmänderung. Unsere Fahrt auf der sogenannten Ebbstrandpiste am Atlantik endete vorzeitig in El Mhaijrat. Eigentlich kann man ohne jede Piste direkt auf dem nassen, harten Sandstrand 160 Kilometer in Richtung Nouadhibou fahren. Die Befahrbarkeit ist allerdings nur bei Ebbe möglich und bedarf des rechtzeitigen Erkundens der Gezeiten.
Eigentlich! Aber für vier schwer beladene Toyota Hilux war der an diesem Tag vorherrschende Sandmatsch zu viel, und bei dem starken Wind ein Zeltcamp am Atlantik aufzubauen, wäre für uns noch nicht wirklich im Land angekommene Touristen ebenfalls spaßfrei geblieben. Somit muss der Nationalpark Banc d‘Arguin einer weiteren Reise vorbehalten bleiben.
Wir fuhren also nach Tiwilt zurück und dann quer durch die Wüste nach Benichab. Auch in Mauretanien gibt es eine Form von “AirBnB” (Privatübernachtung online buchbar), und wir fanden in einem freistehenden, großen Haus Zuflucht vor dem Sandsturm. Das hatte zumindest den Vorteil, dass nochmal Duschen und Toiletten zur Verfügung standen und sich der Beginn des rustikalen Lebens somit um einen Tag verschoben hatte.
Eisenerz-Zug
Am nächsten Morgen ließ der Wind nach, und wir starteten in Richtung Choum und Ben Amera und hofften, den bekannten Eisenerz-Zug zu sehen. Dieser Zug verkehrt auf der 700 Kilometer langen Strecke, dicht an der Grenze zur Westsahara, zwischen den Erz-Minen von Zouerate und Nouadhibou in 16 bis 18 Stunden. Er ist mit seinen Wagons zwischen zwei und drei Kilometer lang und hat einen entsprechenden Bremsweg. Diese eingleisige Strecke befahren täglich bis zu sechs Züge. An der Bahnstrecke ist alle 100 Kilometer ein Entsandungstrupp stationiert, der die vom Sand zugewehten Gleise wieder frei macht. Für Fahrgäste gibt es einen Personenwagon, aber unter unbeschreiblichen Bedingungen können Fahrgäste auch kostenlos direkt oben auf den Eisenerzwagen mitfahren.
Ein Hilux war stehengeblieben, und alle standen an der offenen Motorhaube diskussionsfreudig herum, so dass wir kurzerhand unser erstes Camp an der Seite einer Sanddüne, mit Blick auf die Schienen des Erz-Zuges, aufstellten. Gespanntes Warten – wann kommt denn jetzt der Zug? Leider fuhren erst zwei Züge mitten in der Nacht bzw. gegen vier Uhr morgens vorbei. Da wollte keiner aus dem Zelt kriechen, um das zu fotografieren. Immerhin wissen wir nun ziemlich genau, wie sich dieser Zug anhört.
Nach dieser nicht so erfolgreichen Zugaktion wanderten wir am nächsten Morgen noch ein wenig entlang der Gleise in Richtung Ben Amera. Der Hilux war nach der Reparatur der Tankleitungsverbindung wieder einsatzfähig, und wir fuhren zunächst zur Bahnstation Ben Amera und hofften auf eine neue Chance. Doch auch hier wusste keiner, wann der nächste Zug kommt. Etwas enttäuscht beschlossen wir, den Zug sein zu lassen und uns lieber auf den drittgrößten (allgemeinsprachlich so genannten) Monolithen der Welt – Ben Amera zu konzentrieren (die beiden anderen, Uluru und Augustus, befinden sich in Australien). Die Sicht auf ihn begleitete uns nun schon fast einen Tag, und wir stellten fest, dass Ben Amera sowie Aicha zu den magischen Plätzen gehören, die man in der Sahara so oft entdecken kann.
Der Legende nach lebte Ben Amera mit seiner schönen Frau Aicha und den beiden Söhnen glücklich auf einer Farm in einer fruchtbaren Landschaft. Aufgrund der großen Dürre musste Ben Amera mit seinen Söhne nach Süden ziehen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Als er nach vielen Jahren wieder nach Hause zurückkehrte, hatte Aicha einen Geliebten. Im Kampf schleuderte Ben Amera mit seinem Kopf den Rivalen viele Kilometer weit weg. Die markante Beule am Kopf von Ben Amera zeugt von diesem Kampf. Ben Amera zog mit seinen Söhnen fünf Kilometer von Aicha weg. Die beiden sehen sich somit täglich aus der Ferne.
Am Fuße des Monolithen Aicha hatten sich als Millenium-Event mehrere internationale Künstler versammelt, um das Thema “Frieden” in ihren Skulpturen umzusetzen. Es war spannend zu sehen, welchen verschiedenen Verwitterungsprozessen und -stadien die Kunstwerke ausgesetzt sind und wie sie sich teilweise verändern.
Nomaden / Brunnen / Herden
Auf dem Weg nach Atar hielten wir kurz in Azoughui. Vom Stammsitz der Almoraviden, der von Abu Bakr 1063 gegründet wurde, ist nicht mehr allzuviel übrig. Die Stadtmauer, das Tor und Teile der Zitadelle lassen sich aber noch gut erkennen.
Ein Zwischenstopp zum Auffüllen der Vorräte in der alten Karawanenhandelsstadt Atar bot die Gelegenheit, sich im Ort umzusehen. Im Wadi Ichif besuchten wir die dort lebenden Hirten, wobei die Besuche für unsere gastgebende Mannschaft immer die Gelegenheit ist, Freunde zu treffen und den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen.
Auf dem Weg zu den weißen Dünenkämmen von Tileski erschien wie aus dem Nichts eine kleine Gruppe von Nomaden, die ihren Hausrat dabei hatten und am Umziehen waren. In der Nähe dieser weißen Dünen hatten andere Nomaden zwischen Tamarisken und Akazien ein großes Stoffzelt aufgestellt. Allerlei Hausrat war auf Gestellen befestigt, am Boden liegen Matten oder Decken, und es gibt auch die Ecke, wo der obligatorische Tee zubereitet wird. Gekocht wird in der Regel außerhalb des Zeltes, in aus alten Fässern gefertigten Öfen. Auch hier, bei 38 Grad, fanden im Schatten einer Akazie die angeregten Gespräche über Neuigkeiten statt. Ein Teil der Mannschaft entspannte beim Zamt-Spiel. Während es Aufgabe der Frauen ist, das Wasser aus den meist weit entfernt liegenden Brunnen zu holen, übernehmen die Männer das Tränken der Tierherden. Die Frauen von Tileski waren bei unserem Besuch gerade dabei, die Esel mit den in Säcken eingenähten Wasserkanistern zu beladen. Wir lernten Mohamed kennen, der einen Brunnen beaufsichtigt und gerade mit seinem Esel das Wasser aus diesem sehr tiefen Brunnen zieht. Nach unseren Berechnungen ist der Brunnen fast 72 Meter tief und erklärt somit das lange Seil, mit dem der Esel den Kanister nach oben bringen muss. Hier wurde uns zum ersten Mal die Bedeutung von Wasser richtig bewusst und vor allem, welch hartes Leben die Nomaden in dieser trockenen, dürregeplagten Landschaft führen.
Auf der Strecke füllten wir unseren eigenen Wasserbedarf (zum Kochen etc., nicht als Trinkwasser) beim Brunnen von Ganeb auf. Im Gegensatz zum vorherigen Brunnen ist dieser mit seinen Wasserkissen und der solargetriebenen Pumpe schon ein Zeichen des Fortschritts. Bei den Brunnen von Iucherwen und Oujaf erlebten wir dann die beeindruckensten “Brunnenspektakel” und konnten mit dem Fotografieren und Zuschauen kaum aufhören. Es entstand ein absolut biblisches Bild – auf der Betonfassung des Brunnens stehen Männer, die über einen archaischen Seilzug einen großen Wasserbeutel aus Reifengummi heranziehen. Dieser wird von einem Kamel mit Reiter hochgezogen. Der Reiter führt das Kamel hin und her, immer wieder. Erstaunlich, wie bei diesem scheinbaren Durcheinander doch diszipliniert die Reihenfolge der jeweils zu versorgenden Herden eingehalten wird. Erst die Kamele, dann die Rinder, die Schafe und zuletzt die Ziegen. Letztere warten weit entfernt und müssen in Schach gehalten werden. Gierig und in Reih und Glied schlürfen die Tiere das Wasser aus dem großen Betontrog. Dazwischen tummeln sich noch die Hirtenhunde, während die Hirten darauf achten, dass das Wasser nicht verschmutzt wird. Parallel zur turbulenten Szenerie bei den Wassertrögen werden für die Jungtiere die verschiedenen Brandeisen auf einem kleinen Holzfeuer vorbereitet. Das erschütternde Gezeter und jammervolle Schreien der Jungtiere tönt über das Gelände. Die Jungkamele erhalten eine besondere Muster-Rasur, die nicht unblutig von statten geht. Auch hier markerschütternde Schreie.
Mauretanische Städte und archäologische Stätten
Auf unserer Route lagen einige archäologische Stätten, und immer wieder begegneten uns Felsmalereien. Eine dieser archäologischen Stätten ist die ehemalige Handelsstadt Ksar El Barka, die um 1690 vom Stamm der Kounta gegründet wurde, einer Familie aus dem Gebiet um Akka in Marokko. In Ksar El Barka trafen sich die Karawanen aus Marokko, Timbuktu, Guinea, Ghana und Senegal, und die Handelsstadt entwickelte sich mit zunehmendem Wohlstand sogar zu einem Kulturzentrum. Gelehrte haben hier ihre Werke geschrieben und über die Handelswege in Westafrika verbreitet. Akreijit ist eine neolithische Siedlung mit Felszeichnungen und einer riesigen Ansammlung von Reibeschalen und -steinen, Tonscherben in allen Varianten sowie Pfeilspitzen.
Von den vier Karawanenstädten, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, liegen Tichit und Oualata auf unserer Reiseroute. Die Gegend um Tichit war bereits im Neolithikum besiedelt, der Ort wurde um 1150 gegründet und entwickelte sich später zum Handelszentrum der Region Tagant. Tichit besteht aus traditionellen Steinhäusern. Es gibt keine geteerte Straße nach Tichit, und aufgrund seiner isolierten Lage verfällt der Ort zusehends. Eine Temperatur von 41 Grad verhinderte allerdings bei uns einen allzu ausgiebigen Stadtbummel. Wir schlichen so durch die Gassen, besichtigten die Moschee und hofften, dass sich die Menschen von alleine vor unseren Kameras tummeln.
Oualata gilt zurecht als die schönste Stadt in Mauretanien. Aufgrund der Lage zwischen Maghreb und Westafrika war die Stadt ab dem 11. Jahrhundert ein wichtiger Karawanenstützpunkt und eine Handelsmetropole, u.a. für Gold und Salz, sowie ein Zentrum islamischer Gelehrsamkeit. Eine bedeutende Koranschule besteht immer noch. Die Frauen von Oualata schmücken ihre lehmverputzten Steinhäuser heute noch überwiegend mit traditionellen weißen Ornamenten und Medaillons. Es finden sich im Stadtbild auch dekorierte Holztüren nach maghrebinischen Mustern. Durch den Bau der Asphaltstraße über Nema hat Oualata seine Bedeutung verloren, und viele Häuser zerfallen.
Wüsten-Krokodile
Die Gueltas von Matmata und Metrewgha sind mit die letzten Stellen in Mauretanien, an welchen man immer noch Saharakrokodile finden kann. Deren Überleben wird ab und zu durch das eine oder andere Zicklein oder Lamm gesichert.
Die Guelta von Matmata befindet sich in einer schönen Dünenlandschaft, die sich für Spaziergänge und Krokodilbeobachtungen bestens eignet.
Den Krokodilen in der Guelta Metrewgha war es, genau wie uns, zu heiß. Sie blieben lieber in ihrem Tümpel und hoben höchstens kurz den Kopf aus dem Wasser, so dass wir sehen konnten, dass es sie gibt. Wir hatten an diesem Tag mit 43 Grad den heißesten Tag auf unserer Tour.
Sanddünen und Elefanten
Die Dünen von El Maadan stellten sich als eine erste Herausforderung an das fahrerische Können heraus, und das endete bei einem Hilux unsanft in einem Sandloch. Und die Dünen von Bouaboun standen erst noch bevor. Die beiden folgenden Tage wurden bestimmt von einer traumhaften Landschaft, einigen Ausgrabungsmänovern, vielen erklommenen Dünen zur Richtungsbestimmung sowie einer fertigen und müden Mannschaft und seligen, in die Sanddünen verliebten Touristen.
Bei Nema erreichten wir die “Route de l’Espoir”, die Straße der Hoffnung, und wurden wieder mit Bergen von Plastikmüll, stinkenden Lkws, Lärm und was die Zivilisation so alles an Umweltunverträglichkeiten bereit hält, konfrontiert. Zwischen Nema und Nouakchott liegen etwa tausend Kilometer, einige Städte wie Kiffa und Boutilimit, mit Baustellen, Kontrollposten und verunglückten Lkws und daneben liegender Ladung. Der Reisekreis schließt sich nach drei Wochen wieder am Ausgangspunkt, in Nouakchott am Atlantik.
Es war eine beeindruckende Tour mit vielen Einblicken in das traditionelle nomadische Leben, das uns von den Nomaden gewährt wurde. Wir hatten spannende Begegnungen in großartigen (Dünen-)Landschaften.
Wie anfangs erwähnt, gibt es noch weitere Landesteile zu entdecken, und somit ist für den nächsten Winter eine weitere Reise nach Mauretanien geplant.