von
Meike Meerpohl
Ein Lachen geht durch die Runde. Die Männer schmunzeln und ihre dunklen Augen leuchten. Sie sind einer Meinung. „Willst du wissen, warum dich die Kamelhändler nicht auf eine Reise durch die Wüste mitnehmen wollten“, fragt mich einer der Männer. Ich bin gerade nach N’Djaména, der Hauptstadt des Tschads, zurückgekehrt, wo vor zwei Monaten die Reise begonnen hatte und treffe diese Männer bei einem Tee. Sie stellen mir diese Frage.
Im Oktober 2006 war ich mit dem Flugzeug aus Libyen in den Tschad gekommen, um erneut ein libysches Visum in der Libyschen Botschaft im Tschad zu bekommen. Diesmal kein Touristenvisum nur für die Hauptstadt, sondern eine Sondereinreisegenehmigung nach Libyen auf dem Landweg vom Tschad aus. Aber nicht mit einem Fahrzeug, sondern per Kamel. Verschiedene erfahrene Wüstenreisende und -forscher versicherten mir, dass es ein fast unmögliches Vorhaben sei, dennoch wollte ich es versuchen. Warum dieser ungewöhnliche Versuch? Seit 2003 untersuche ich den Kamelhandel und die Karawanenwege innerhalb eines Teilprojektes „Wege und Handel in ariden Zonen“ des Sonderforschungsbereiches 389 -ACACIA- (Arid Climate, Adaptation and Cultural Innovation in Africa) an der Universität zu Köln. In den vergangenen Jahren forschte ich auf Weiden und Kamelmärkten im Nordosten des Tschads und in der Oase Kufra in Libyen über verschiedene Monate hinweg, um zu erfahren, wie ein Handel über Wüstenwege im 21. Jahrhundert funktioniert. Zwischen dem Nordosten des Tschads und der Oase Kufra ziehen seit einigen Jahren wieder Kamele, aber nicht um wertvolle Güter zu transportieren, vielmehr transportieren sie sich selbst als Fleischlieferanten zu libyschen Märkten. Diesen Teil des Handels wollte ich genauer untersuchen. Durch die verschiedenen Interviews mit Händlern, Hirten und Verantwortlichen entwickelte sich meine Absicht, eine dieser Kamelgruppen auf ihrem Weg durch die Wüste zu begleiten. Die eigene Teilnahme sollte Aufschluss über Management, Logistik, Risiken und Wegstrecke geben, was durch Interviews allein nicht zu erfahren war. Die „teilnehmende Beobachtung“ ist eine Methode der Ethnologie um empirische Daten zu erheben. Bei einem wissenschaftlichen Thema zum Wüstenhandel ist es daher nicht abwegig den Forscheralltag auf den Kamelrücken zu verlegen.
In Tiné musste nur noch einer der Kamelhändler überzeugt werden, mich mit seinen Kamelen mitziehen zu lassen. Das würde wohl keine Schwierigkeit sein, so dachte ich, war ich doch in der Region bekannt und hatte ich mich bei einem früheren Aufenthalt auf einer kürzeren Strecke des Kamelreitens fähig erwiesen. Doch dieser Überzeugungsversuch stellte sich problematischer als angenommen heraus. Täglich hausierte ich bei Kamelhändlern, um sie zu bitten und zu überzeugen, mich mit ihren Kamelen mitziehen zu lassen. Sie waren alle freundlich, doch verschwiegen. Wie eine eingeschworene Geheimgesellschaft erschienen sie mir, sie wichen mit Ausreden aus und ließen keine Informationen über losziehende Kamelherden verlauten. Offensichtlich hatten sie Bedenken, die sie mir gegenüber aber nicht klar äußerten. Dadurch war ich chancenlos, ihnen eventuelle Unsicherheiten zu nehmen. Sie blieben wie sie waren: verschwiegen. Selbst, dass der Vize-Sultan in Tiné und ein einflussreicher Händler aus Kufra für mich bürgen wollten, änderte nichts an dieser Stagnation. Geduld gehört ja normalerweise zum Werkzeug eines Ethnologen im Feld, aber mit jedem Tag ging mein libysches Visum seinem Verfallsdatum entgegen. Jeder Tag kostete erneut viel Energie und Nerven. Ich war nah dran aufzugeben. Doch dann erklärte sich unerwartet schließlich einer der Kamelhändler bereit, mich mitzunehmen. Was ihn umstimmte, blieb unklar. Seine Kamele hatte ich bereits 2003 auf einer 300km langen Strecke innerhalb des Tschads begleitet. Mir blieb keine Zeit über die Gründe seines Einverständnisses zu sinnieren, denn nach knapp drei Wochen Überzeugungsversuchen, mussten nun innerhalb von fünf Stunden zwei Kamele und die Reiseausstattung (Kamelsättel, Halfter, Wasserkanister, Sattelunterlagen und Vorräte) besorgt, Ausreisestempel bei der tschadischen Polizei geholt und die Satteltaschen gepackt werden.
Dann ging es los. In Hektik wurde die Ortschaft verlassen, in Richtung der weidenden Kamele, die nach Libyen geschickt werden sollten. Plötzlich sollte alles ganz schnell gehen. Die acht Hirten auf der Weide lachten herzlich und verstanden es als einen gelungenen Scherz, als ich ihnen erklärte, dass ich sie nun nach Kufra per Kamel begleiten wollte. Sie staunten nicht schlecht, als ich meinen Worten Nachdruck verlieh und meinen Sattel und Kameltaschen aus dem Auto holte. Sofort sollte es losgehen, bestimmte der Kamelhändler seinen Hirten, die sich auf den Weg machten, um die 329 ahnungslosen Kamele zusammen zu treiben, die in aller Ruhe ihre vorerst letzten Bissen Gras kauten. Hätten sie gewusst, was ihnen bevorsteht, hätten sie sicherlich weitere Grasbüschel ergattert, aber sie kauten in aller Ruhe weiter und setzten sich nur gemächlich in Bewegung. Die Hirten stattdessen beluden in aller Eile die acht Packkamele, so auch meines mit Taschen, Wasserkanistern und Vorräten. Und eh ich mich versah, saß ich auch schon auf dem hohen Tier, meinem Kamel, in Richtung Norden gen Kufra, das etwa 1.000km entfernt lag. Das war der Augenblick, in dem die vergangenen Wochen und Monate der Vorbereitungszeit und Unsicherheiten auf ein Gelingen der Tour vor meinem geistigen Auge abliefen und mir das erste Mal Zweifel kamen. Hatte ich doch überall versichert, dass ich die Kraft und Ausdauer besitzen würde, diese Strapaze zu überstehen, saß ich nun auf dem Kamel, und die Unternehmung im Auftrag der Wissenschaft war kein unerreichbares fernes Ziel mehr. Hier war ich, es gab kein Zurück mehr.
Ich saß auf dem Kamel und soweit ich blicken konnte, sah ich Kamele, die in zwei Gruppen aufgeteilt und von den Hirten als Herde zusammengehalten wurden. Wie ich so in meinen Gedanken versunken war, rumpelte meine Satteltasche auch schon wieder zu Boden. Das Kamel wurde angehalten, die deutsche Forscherin vom Kamel geholt, die Tasche wieder befestigt, Forscherin wieder drauf gesetzt und weiter ging es. Als diese Prozedur noch weitere zweimal geschah, stand fest, noch bevor wir den ersten Kilometer hinter uns gebracht hatten, meine gefüllten Taschen sind eindeutig zu schwer. Normalerweise werden diese Taschen auch nicht mit Laptop, Fotoausrüstung, Navigationssystem, Satellitentelefon, Kleidung und weiterer Ausrüstung bepackt, sondern höchstens mit Hirse, getrockneten Tomaten und Okra, Zwiebeln und Kochutensilien. Heinrich Barth seiner Zeit hatte für sich und seine Gerätschaften eine ganze Karawane, dies musste auf meiner Tour in zwei Satteltaschen passen, die dem Gewicht wohl nicht gewachsen waren und weiterhin Probleme bereiteten. Nachdem ich -thronend auf meinem Kamel- die ersten Kilometer hinter mich gebracht hatte, verflogen meine Zweifel wieder und ich war über den gelungenen Start der Tour als Teilerfolg glücklich. Ich fühlte mich zwischen den Hirten, die mich immer wieder aus den Augenwinkeln prüfend anblickten und nicht wussten, was sie von der deutschen Forscherin zwischen ihren Kamelen halten sollten, gut aufgehoben. Die Temperatur war angenehm, der Schritt der Kamele gleichbleibend, der Ausblick gut, ich war zufrieden. Erst als ich nach Stunden, wir waren gegen 9.30 Uhr losgeritten, kurz vor Sonnenuntergang bemerkte, dass wir bisher keine Pause eingelegt hatten, ich noch keinen Schluck Wasser getrunken hatte, weil meine Wasserflasche tief im Innern der Tasche versunken und ein Erreichen vom Kamel aus undenkbar war, dachte ich langsam an eine Pause und ein Absitzen erschien mir verlockend.
Bei Sonnenuntergang wurden die Kamele endlich angehalten. Doch als ich Anstalten zum Absteigen machen wollte, rief einer der Hirte mir zu, „wir beten hier nur schnell, dann geht es weiter“! Damit war meine erste Vision einer Pause genommen und weiter ging es. Jetzt taten langsam alle Knochen und Muskeln weh, angenehme Sitzpositionen waren nicht mehr zu finden. Wann wir anhalten würden, fragte ich vorsichtig im Nebensatz. Gegen neun war die Antwort. Noch eine Stunde? Daran war kaum zu denken. Außerdem wurde es unglaublich kalt, und dass auch die Jacke zusammen mit der Wasserflasche in den Untiefen der Tasche verschwunden war, war anzunehmen. Nur langsam bewegte sich der Zeiger auf 21 Uhr zu und dann darüber hinweg, doch an Anhalten schienen die Hirten nicht zu denken. Und ich ahnte Schlimmstes, als der nächste Zeitpunkt auf 23 Uhr versprochen wurde und der Uhrzeiger auch über diesen Zeitpunkt hinauswanderte. Damit war bewiesen, dass dies keine Tour sein würde, die man als Tourist in einem Reisebüro bucht, sondern eine Wahnsinnstour! Erst gegen 00.20 Uhr wurden die Kamele gestoppt. Wie ich wohl vom Kamel kommen würde, fragte ich mich, nachdem auch die letzten Stellen meines Körpers gefühllos geworden waren. Mein Abstieg vom Kamel glich eher einem Fall, so dass sich die Hirten ein Lachen nicht verkneifen konnten und riefen, „du kannst ja gar nicht mehr laufen“. Das hatten sie wohl richtig gesehen, denn es ging wirklich nicht mehr. Der Traum von einem heißen süßen Tee und einem leckeren, warmen Essen war das Einzige, was mich die letzten Stunden noch aufrecht gehalten hatte, um den mittlerweile absolut leeren Magen zu füllen. Dieser Traum wurde mir genommen, denn die Hirten räumten ein, dass sie vergessen hatten, Holz auf dem Weg zu sammeln und somit kein Feuer machen konnten. Die Müdigkeit war zu groß, um sich darüber Gedanken zu machen. Ich zog einfach meine Decke vom Kamel, packte den Schlafsack aus und legte mich neben mein Tier, um so schnell wie möglich zu schlafen. Die Vorstellung, morgen wieder auf das Kamel zu steigen, war alles andere als angenehm.
Das Abendessen wird zubereitet
Die kalte Nacht war schnell zu Ende. Kaum hatte ich die Augen geöffnet, sah ich, dass die Kamele bereits wieder beladen wurden. Das ließ mir kaum Zeit, meine sieben Sachen zu verstauen und schon saß ich wieder auf dem Kamel. Eine genauere Beschreibung über meine Knochen und Muskeln erspare ich mir, es war die Hölle. Auch der zweite Tag, der bereits um 5.30 Uhr auf dem Kamel begonnen hatte, war nicht vor Mitternacht zu Ende. Immerhin hatten wir eine Stunde Mittagspause eingelegt, wo es nach über 24 Stunden auch endlich etwas für den Magen geben sollte. Der süße Tee war herrlich. Die asida, das traditionelle Gericht aus Hirse mit Soße, war mir gut bekannt; sie war noch nie mein Lieblingsgericht gewesen, dennoch füllte sie jetzt den Magen und das war die Hauptsache. Allerdings stellte ich fest, dass die Hirten, mit den Fingern essend, besser an die heiße Mahlzeit gewöhnt waren, als ich mit meinen ungeübten Besteck- gewohnten hitzeempfindlichen Fingern. Die Töpfe waren im Nu leer. Daran musste ich mich in den nächsten Tagen wohl anpassen. Nach der Mittagspause versuchte ich es zur Abwechslung mit Laufen statt Reiten. Doch auch das hatte seine Tücken. Denn während die Geschwindigkeit der Kamele vom Kamel aus recht gemächlich ausgesehen hatte, war sie zu Fuß durch den Sand kaum mitzuhalten. Mein GPS maß 5 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Lange konnte ich das Tempo nicht halten und wurde von den Hirten aufgefordert, mein Kamel doch wieder zu besteigen, da der Abstand zwischen mir und dem letzten Kamel immer größer wurde. Zurück auf dem Kamel bewunderte ich die Hirten wirklich. Sie folgten alle zwei Stunden abwechselnd reitend und laufend den Kamelen schnalzend, rufend, rennend und vor allem ohne müde zu werden und ohne etwas zu trinken. Sie hatten meine volle Bewunderung. Nach zweieinhalb Tagen hatte sich mein Körper endlich an die Strapazen gewöhnt, der Muskelkater wurde weniger und abgesehen von der Kälte in den Nachtstunden und dem Schlafmangel verkraftete ich die täglichen 16 Stunden Reiten in den folgenden Tagen besser.
In der Mittagspause des achten Tages zeigte einer der Hirten in eine Richtung und fragte mich, „hast du das schon gesehen?“ Ich traute meinen Augen nicht, da bewegte sich doch etwas im Sand, ganz nass und hilflos, ein Kamelbaby. Eine der Kamelstuten hatte in der Stunde, in der wir eine Mittagspause einlegten, ein Fohlen geboren. Diese Tiere sind wirklich einmalig. Trotz der täglichen Laufbelastung, ohne Fressen und Wasser über acht Tage hinweg, gab die Kamelstute sofort Milch. Natürlich konnte das Fohlen nicht gleich laufen, schon gar nicht die erforderlichen Tageskilometer, so dass die Hirten es in eine Juteplane legen und an einem der Packkamele befestigen mussten. Schon ging es weiter, auch die Stute musste sofort weiter laufen. Für eine längere Pause blieb keine Zeit. Denn die Wüstenkilometer müssen in einer bestimmten Zeit bewältigt werden, sonst reichen die Kräfte der Kamele und die Wasservorräte für die Menschen nicht aus.
Das Kamelbaby in der Packtasche
Während in der Vergangenheit bei einer solchen Wüstenstrecke die natürlichen Oasen als Wasserreservoir angelaufen wurden, funktioniert die Wasserversorgung im 21. Jahrhundert anders. Mit Stroh und Wasser beladene LKWs werden von Kufra aus der Gruppe entgegen geschickt, um Kamele und Hirten mit Wasser zu versorgen. Die per Satellitentelefon angeforderten „mobilen Oasen“ warten an ausgemachten Standorten auf die Gruppe. Nach zehn Tagen fast kompletten Tages- und Nachtritten ließ sich am Horizont endlich ein dunkler Punkt ausmachen, der kein Stein war, sondern eine dieser mobilen Oasen. Dieser LKW brachte neben Wasser und Stroh für die Kamele auch Nahrungsmittel, Brennholz und ein paar Gaumenfreuden für die Hirten- und mich. Eine Cola und ein paar Kekse schmecken nach solchen Tagen ganz besonders gut. Neben der „Oasenfunktion“ ermöglicht ein solcher LKW auch müde gewordene Kamele und Hirten zu transportieren, so auch unser kleines Kamelbaby. Ich entschied mich statt des LKW-Transportes auch die letzten Kilometer auf dem Kamelrücken zurück zulegen, meine Muskeln und Knochen hatten sich nun an diese „Tätigkeit“ gewöhnt. Nach weiteren fünf und insgesamt 15 Tagen erreichten wir nach knapp 1.000km Wegstrecke endgültig die Oase Kufra. Damit war mein Ziel -die Teilnahme an einer solchen Tour- erfolgreich verwirklicht.
Die politische Lage im Tschad hatte sich mittlerweile so verschärft, dass eine Rückkehr per LKW nicht mehr möglich war und ich N’Djaména wieder auf dem Luftweg erreichte. Dort traf ich diese Männer, die Verwandten der Hirten und konnte ihnen von meiner Wüstentour erzählen. Sie beantworteten auch noch meine letzte Frage, nämlich die, warum die Kamelhändler gezögert hatten, mich auf diese Reise mitzunehmen und erklärten: „Eine Frau alleine auf eine Reise mitzunehmen, bringt nach dem Glauben unserer Kultur Unglück. Zwei oder mehrere Frauen auf eine Reise mitzunehmen, ist kein Problem, aber eine Frau alleine wird niemand mitnehmen. Muss eine Frau -aus welchen Gründen auch immer- doch mitgenommen werden, so wird ihr ein Stein unter den Sitz im Auto oder per Kamel in eine der Kameltaschen gelegt, damit ein Ausgleich geschaffen und das Unheil abgewehrt wird.“ Nun wird mir klar, warum sich die Kamelhändler mir gegenüber wie eine Geheimgesellschaft verhielten und mich nicht mitnehmen wollten. Aber da es eine durchaus erfolgreiche Tour ohne größere Zwischenfälle war, hatten auch wir sicherlich einen solchen Stein dabei, der jegliches Unglück abgewehrt hat. Und das ist vielleicht auch der Grund warum meine Satteltaschen so schwer waren…
Unterwes mit 329 Kamelen