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Dez 5, 2018 | Asien

Bis ans Ende der Alten Welt – 20.000km bis Magadan

Reisebericht von Edelgard Speer Töppe und Christian Speer

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Unser zweiter Versuch, Magadan auf eigener Achse zu erreichen, begann Anfang Juni 2018 mit dem Transport unseres T3 Syncro-16“-Busses von Warschau nach Bishkek in einem verplombten Sattelschlepper, zusammen mit 20 Motorrädern in Käfigen. Zwei Wochen später stand unser Bus mit fertig ausgestellten Einfuhr- und Zollpapieren für die ganze russischen Wirtschaftunion (Russland, Kasachstan, Kirgistan) in Bishkek. Dieser preiswerte und sehr komfortable Transport verkürzte die Anreise nach Magadan um circa 7000 Kilometer. Der Grenzübergang nach Kasachstan war dank der ausgestellten Papiere schnell erledigt, und bei dem gutem Frühsommerwetter fanden wir sehr schöne Stellplätze in Obstgärten oder hinter Friedhöfen.
Weiter ging es durch das Russische Altai über Novosibirsk, Krasnojarsk und Irkutsk an den Baikalsee, wo wir eine Verschnaufpause am Strand des restaurierten Klosters Posolskoje einlegen wollten.
Aber die gierigen Mücken verleideten uns den Aufenthalt, und wir fuhren weiter nach Ulan Ude, unserer Lieblingsstadt in Buratien.

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Wir begrüßten den Leninkopf, ein Relikt der Weltausstellung in Kanada, schlenderten über den Opernplatz durch das Zarentor in die Fußgängerzone, wo ich mit Anton Tschekhova, dem Arzt und Schriftsteller plauderte. Auf dem Rückweg dämmerte es schon, und die Fontänen des Musikbrunnens tanzten bereits farbig angestrahlt im Rhythmus klassischer Musik.Das Wetter war deutlich besser als 2016. Nur wenige örtliche Gewitter mit Starkregen ließen die kleinen Flüsse anschwellen und Wiesen sumpfig werden. Das merkten wir leider zu spät.

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Wie in den Jahren zuvor wollten wir am idyllischen Flussufer der Tanja rasten. Beim Geradestellen des Busses rutschte er vom befestigten Boden in die sumpfige Wiese. Uns gelang es nicht, die Bleche unter die Räder zu schieben, und auch nicht, den Bus mit dem High Jack anzuheben. Doch hier erfuhren wir wieder die selbstlose Hilfsbereitschaft der Russen, wenn man sie darum bittet. Auf der nahen M55 hielten wir einen Kleinlaster an. Nach dem zweiten vergeblichen Versuch, unseren Bus aus dem Sumpf herauszuziehen, fuhr er sofort mit Christian in den drei Kilometer entfernten Ort Tanja und organisierte dort einen großen Traktor. Dem gelang es beim zweiten Versuch, den Bus aus der Versenkung zu ziehen. Mit „Auf Wiedersehen“ und „Gute Reise“ fuhren sie von dannen. Weder mit Geld noch Geschenken konnten wir uns bei ihnen bedanken.

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Nach 23 Tagen ab Bishkek erreichten wir wieder die Straßenkreuzung bei Never: Yakutzk 1056 km, Magadan 3177 km. Wir waren sehr überrascht, dass schon nach wenigen Kilometern die erst 2014 fertig gestellte M56 völlig neu trassiert wird. Dazu wird der Wald rücksichtslos abgeholzt und die Hänge abgetragen. In diesem Jahr konnten wir einen Blick auf das riesige Tageabbaugebiet für Kohle und Erz mit großen Halden werfen. Mitten hindurch läuft die Eisenbahnstrecke Amur-Yakutische Magistrale über Aldan bis nach Nizhni Bestyakh mit Personen- und Güterverkehr. Wir genossen die freie Sicht auf die landschaftlich abwechslungsreiche Gebirgsstrecke. Die Straße windet sich die Pässe hoch, die in diesem Jahr schneefrei waren. Nur auf einem lag noch das ganzjährige Schneefeld in einer Mulde. Ohne weitere Vorkommnisse erreichten wir Nizhni Bestyak am Ostufer der Lena.
Hier beginnt bzw. endet die P504. Dieses Teilstück wird zwar als „Alte Kolymastraße“ bezeichnet, ist aber tatsächlich nur eine Verbindungsstraße bis zum Aldanfluss. Wir befinden uns noch in Yakutien oder Sacha, wie das Gebiet jetzt heißt. Die Bewohner sind die Nachkommen indigener Völker. Sie sind zwar im 18. Jahrhundert christianisiert worden, huldigen aber mehr einem schamanistischen Glauben, dem Tengrismus. So hat jedes Dorf einen Festplatz mit schönen geschnitzten Votivpfählen, welche die drei Welten Himmel, Erde und Unterwelt symbolisieren. Am 22. Juni beginnt das mehrtägige Aar-Aiyy-Fest zu Ehren der zwölf himmlischen Götter, auf dem die alljährliche Wiedergeburt der Natur gefeiert wird. Der Glaube besagt, dass die Seele der Toten auf der Erde bleibt. Daher beerdigen die gläubigen Jakuten ihre Toten oberirdisch in kleinen schmucklosen Holzhäuschen. Nur selten ziert die Gräber witterungsbeständiger Blumenschmuck. Manchmal ist ein Grabstein aufgestellt oder ein schamanisches Symbol. Wie die christlichen Gräber sind auch sie eingezäunt und verwildert.

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Bis zum Aldan ist das Gelände flach und mit zahlreichen Seen und kleineren Flüssen durchzogen. Viele Wiesen sind wegen der Frosthügel nicht befahrbar. Das erschwert die Suche nach einem geeigneten Stellplatz. Endlich finden wir einen auf einem schmalen Erddamm, der vor einem Waldsee endet. Rechts ein See eingebettet in einer Frosthügelwiese, links ein Abflussgraben des dahinter liegenden Sees. Um Mitternacht schreckt uns ein lautes Hupkonzert eines 6×6-Lkw-Kranwagens aus dem Schlaf, der unbedingt an uns vorbei will. Er hat sich verfahren! Der Oblast Jakutien endet am Aldan. Der mittlerweile viele Kilometer breite Strom bildet eine natürliche Grenze zu dem im Osten liegenden Land, das nach dem Fluss Kolyma benannt wurde. Die Kolyma ist ein drei Millionen Quadratkilometer großes Gebiet. Es wird im Osten vom Ochotskischen Meer und im Westen vom vielen Kilometer breiten Fluss Aldan begrenzt, im Norden von Tundra und im Süden von Taiga, beides im Permafrost. Ideal für ein riesiges Straflager, eine Flucht war kaum möglich. Bis ins letzte Jahrhundert war die Kolyma unbesiedelt. Erst Anfang der 1920er Jahre entdeckten Geologen, die auf dem Seeweg Magadan erreichten, große Goldvorkommen, dazu Kohle und diverse Erze. Da dort weder Menschen wohnten noch sich genügend Freiwillige in diesem unwirtlichen Gebiet ansiedeln wollten, verfiel Stalin auf die Idee, dort Zwangsarbeiter und Verbannte hinzubringen, die die Lagerstätten unter unmenschlichen Bedingungen ausbeuten mussten. Der Gulag „Kolyma“ war geboren. Kriminelle, politische Gefangene, Deportierte aus ganz Russland, den baltischen Ländern und dem Kaukasus wurden zu langjährigen Haftstrafen von 10 bis 25 Jahren verurteilt. Später folgten die Kriegsgefangenen. Die transsibirische Eisenbahn transportierte abertausende Verurteilte in wochenlangen Fahrten nach Vladiwostok. Die die Strapazen Überlebenden wurden anschließend auf Schiffe verladen und in ebenso langer Seereise an der Küste entlang in den Hafen Magadan gebracht. Von dort wurden sie dann auf die Straflager verteilt, die sie selbst erst noch bauen mussten. Deswegen hieß es früher: „Man fährt nicht nach Magadan, nach Magadan wird man gebracht.“

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Der Bau der „Alten Kolymastraße“ begann erst 1932 von Magadan aus und dauerte 20 Jahre. Sie verbindet die einzelnen Lager wie eine Perlenschnur. Den Namen Knochenstraße erhielt sie, weil über 100.000 Häftlinge beim Bau der Straße mit einfachsten Gerätschaften und unter unmenschlichen Bedingungen, im Sommer bei +40°C, im Winter bis -50°C, starben. Die Toten wurden in die Straße eingegraben oder vor allem im Winter als „Begrenzungspfähle“ am Straßenrand aufgestellt. Erst im 2. Weltkrieg wurde die Kolyma, die bis dahin nur auf dem See- und Luftweg erreichbar war, mit einer Piste von Nizhni Bestyakh bis zum Aldan an das westliche „Festland“ angebunden. Die Fähre über den Aldan ist Teil der Straße P504. Die Überfahrt kostet einheitlich 1000 Rubel. Auf der 2000 Kilometer langen Strecke gibt es mindestens drei Tankstellen mit Diesel und Benzin. Reifenflicker sind dagegen noch seltener.

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Die Kolyma ist inzwischen fast überall eine zweispurige Piste mit mehr oder weniger steinigem Untergrund und bei trockenem Wetter wirklich gut zu befahren. Sie führt hart an den Flussufern entlang und klettert die Berghänge hinauf mit beängstigend steilen Abhängen. Fast alle Holzbrücken sind inzwischen durch stabile Betonbrücken ersetzt. In Kyumbyume biegt die „Alte Kolyma“ nach Osten nach Tomtor ins Oimjakon ab. Oimjakon gilt als das kälteste ständig bewohnte Gebiet der Erde. Auch jetzt im Juli fließt der Fluss streckenweise noch unter einer dicken Eisschicht.

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Dieser Abschnitt der Kolyma wird nur noch bis Tomptor gepflegt, er spiegelt den Zustand der alten Kolyma bis 2012 wieder. Eine relativ schmale Erdstraße führt dem Gelände folgend durch lichten Wald über fragwürdige Brücken. Schon ein kurzer aber heftiger Regenschauer verwandelt sie in eine Schlammpiste, und Flussüberquerungen werden weggespült. Aus diesem Grunde wurde die Straße ab Tomptor bis Kadykchan 2012 aufgegeben. Der Unterhalt der folgenden Strecke mit den vielen Flussüberquerungen war zu aufwendig. Nur im Winter kann sie gefahrlos mit 6×6-Lkws, Kamas und Ural befahren werden.
Tomptor gilt als Kältepol der Erde mit gemessenen Minus 71°C im Winter, über Schnee sollen sogar in einigen Tälern -81°C gemessen worden sein. Bei unserem Besuch haben wir knapp +30°C, und es ist eine merkwürdige Vorstellung, dass bis zum Winter ein Temperaturunterschied von fast 100°C besteht.

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Dem Klima angepasst ist die Bauweise der Häuser. In früheren Jahren isolierte man sie mit Lehm und Grassoden. Später baute man die Häuser auf Anhöhen mit Stelzen wegen des Permafrostes. Heute werden die Neubauten auf einer Holzplattform circa 50 Zentimeter über dem Boden errichtet. Der Hauseingang wird mit einem Vorbau gegen Kälte und Wind geschützt. Wir fahren zurück nach Kyumbyume. Hier beginnt die „Neue Kolyma“. Fast 20 Jahre hat man an der Verbindung über das Gebirge bis nach Ust Nera gebaut. Seit 2012 ist die Strecke auch mit den schweren Sattelschleppern mit bis zu fünf Achsen befahrbar. Sie ist zwar 230 Kilometer länger als die alte, aber ohne Brücken und Sümpfe, und deshalb ganzjährig zu befahren.

Das Suntar-Kyatar Gebirge ist ein 450 Kilometer langer und bis zu 3000 Meter hoher Bergrücken mit vergletscherten Bergspitzen. Die Straße windet sich mit 6 bis 12% Steigung an den bewaldeten Berghängen entlang und überwindet mehrere 1200 Meter hohe Pässe mit herrlichen Ausblicken auf die vergletscherten Berge und die vielen ins Tal stürzenden wasserreichen Flüsse. Eine landschaftlich äußerst reizvolle und abwechslungsreiche Strecke. Ust Nera wurde in den 1930er Jahren an der Mündung der Nera in den Gold führenden Indigerka-Fluss gegründet. Wegen seiner Goldbergwerke wurde es zu einem Zentrum des Gulags und beherbergte die Lagerverwaltung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Verfall des Goldpreises ist der Goldbergbau praktisch zum Erliegen gekommen, aber die Gewinnung von „Waschgold“ mit mobilen Waschanlagen aus den Uferböschungen der Flüsse scheint sehr erträglich zu sein. Angeblich werden 15 Gramm Gold pro Tonne gewonnen. Heute ist Ust Nera ein trostloser Ort. Von den in 1989 gezählten 12.000 Einwohnern lebten 2010 nur noch knapp 4000 Menschen hier, und es werden immer weniger. Die Holzhäuser der Vorstadt sind verfallen oder verbrannt. In den zerstörten kleinen Gewächshäusern in den Gärten wächst Gras. Im „Zentrum“ stehen heruntergekommene Betonwohnblocks, teils bewohnt, teils unbewohnt und „ausgebeint“.

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Die gleiche Situation herrscht in Sussuman. Die Stadt wurde 1936 von Häftlingen gebaut und zu einem großen Goldfördergebiet entwickelt. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion lebten und arbeiteten 17.000 Menschen hier, heute nur noch etwa 4000. Ähnlich ist es in den anderen noch bewohnten ehemaligen Lagern. Von der Mehrzahl der vor allem kleineren Lager existieren nur noch Ruinen. Die heutigen Bewohner dieser Städte sind Nachkommen ehemaliger Lagerinsassen und sowjetischer Verwaltungsarbeiter. Viele durften nach ihrer Entlassung oder Auflösung der Straflager nicht das Gebiet verlassen und in ihre Heimat zurückkehren. Andere blieben freiwillig dort und arbeiten unter normalen Bedingungen weiter. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR in den 1990er Jahren wanderten jedoch viele aus, und es blieben nur die zurück, die kein Geld hatten, um sich woanders neu anzusiedeln. Wir haben häufig Deutschstämmige getroffen, die fast alle Verwandte in Deutschland haben.

Über einen weiteren Pass geht es ins Tal des Flusses Kolyma. In der Nähe von Debin erreichen wir die einzige Brücke über den schwer passierbaren Kolyma-Fluss. Es die dritte Brücke an dieser Stelle. Seit ihrer Fertigstellung 2014 kann endlich der Kolyma ganzjährig gefahrlos überquert werden. Die letzten 100 Kilometer vor Magadan sind geteert, und am 05. Juli 2018 erreichen wir Magadan, das Ziel unserer Träume. Magadan liegt zwischen zwei Buchten des eisfreien Ochotskischen Meer. Die Nagaev-Bucht wurde nach dem russischen Admiral Nagaev (1704-1781) benannt. Sie hat einen breiten Badestrand und ist in der Ferienzeit das Ausflugsziel.

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Die Gertner-Bucht bekam ihren Namen vom Kapitän Gertner. Die Küste dieser Bucht fällt in Terrassen zum Meer ab und ist deshalb nicht so überlaufen. Vor unserem Standplatz ragt eine kleine Felsinsel aus dem Wasser, die aber bei Ebbe betreten werden kann. Wir stehen kaum, da werden wir von einem deutschstämmigen Geschwisterpaar namens Weiß eingeladen, das hier den Geburtstag der Schwester mit den Familien feiern. Ein Entkommen war nicht möglich. Auch nach Stalins Tod blieb Magadan das Zentrum des Goldbergbaues und der Straflager der Sowjetunion. Daher sind die etwa 96.000 Einwohner Magadans mehrheitlich Nachkommen der Verbannten und Lagerhäftlinge und der sowjetischen Verwaltungsangestellten. Die Stadt ist sehr europäisch, adrett und sauber. In Magadan steht eines der sehr wenigen Denkmäler für die Gulag-Opfer: Trauermaske. Die 15 Meter hohe ausdruckstarke Betonskulptur ist auf dem Hügel erbaut, wo sich das Lager befand, von dem aus die Häftlinge auf die verschiedenen Straflager im Kolymagebiet verteilt wurden. Etwas skurril ist ein aus Schrottteilen lebensecht zusammengesetzter Mammut von fünf Metern Höhe und sechs Tonnen Gewicht. Sein Name ist „Zeit“! Das Geologische und das Naturgeschichtliche Museum sind leider geschlossen. So können wir nicht die phantastischen Goldklumpen und herausragenden Mineralien aus der Kolyma besichtigen. Übrigens, in Russland werden keine Goldnuggets verkauft, da ein Russe kein unverarbeitetes Gold besitzen darf!

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Nach einer knappen Woche treten wir die Rückfahrt an. Wir wollen den Wettergott nicht zu sehr herausfordern.

Von Palatka aus machen wir einen Schlenker durch das sehr reizvolle Omjak. Die gute, wenig befahrene Piste erschließt den riesigen Goldtagebergbau, dessen zentraler Verarbeitungsbetrieb in Ust Omjuk angesiedelt ist. Wir erreichen ohne Zwischenfälle Chandyga, die letzte größere Stadt in der Kolyma. Am Ufer des Aldan setzen wir mit der Fähre nach Jakutien über. Circa 100 Kilometer vor Nizhni Bestyakh wird es immer diesiger. Nach weiteren 50 Kilometern beträgt die Sicht keine 100 Meter mehr, und auf der Fähre über die Lena können wir nicht mehr den Fluss sehen. Seit drei Tagen brennt die Taiga, und der Wind treibt den Rauch über die Lena gen Osten, aus dem wir gerade überglücklich und wohlbehalten am 15. Juli 2018 zurückgekommen sind.

Unser Traum ist in Erfüllung gegangen.

Das Wetter ist durchwachsen, viele Wolken, zwischendurch Sonne, später zieht es ganz zu und regnet. Die Aussicht ist traumhaft, über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, und wie ist‘s in den Wolken? Immer wieder höre ich Murmeltiere pfeifen, sehe sie meist nur, wenn sie sich bewegen.

Ich verlasse den Camping und mache mich zum Sommeiller auf, dem angeblich höchsten legal befahrbaren Punkt der Alpen, auf 2.995 m liegt der Parkplatz. Ein kleiner See, wohl Reste eines Gletschers, eine verschlossene, architekturpreiswürdige Schutzhütte und eine kleine Wanderung ca. 100 Höhenmeter einen Grat hinauf zum Genießen und ja, auch zum Fotografieren. Hier oben ist die Luft schon merklich dünner.

Auf dem Parkplatz des Rifugio Scarfotti, auf ca. 2.160m Höhe, mache ich Brotzeit, bleibe ich eine Weile und genieße die Aussicht.

Da es hier so ruhig und friedlich ist, trotz der manchmal aufdringlichen Esel, beschließe ich, hier zu übernachten. Die Nachbarn bedauern, sie haben ihr Zeug noch auf dem Camping. Achim, der Syncrofahrer mit einem Hund, und Laura und Silas mit zwei Hunden und einem Oldtimer-Mercedes G, wollen ebenfalls übernachten.

Am Hang gegenüber scheint eine kleine Höhle zu sein, ich wandere hinauf, es ist keine Höhle, sondern eine Quelle. Hier setze ich mich auf einen Felsen, beobachte die Grashüpfer, die Schmetterlinge, die Wolken, die Berge, eine 4×4-Reisegruppe, die gegenüber die Piste hochkrabbelt, lausche dem Kuhglockengeläut der Herde unter mir. Ein dermaßen friedlicher und entspannender Augenblick, den ich so genieße, dass ich mich erst eine gute Stunde später wieder auf den Weg hinab mache.

Das Refugio macht für den Winter dicht, die Müllabfuhr leert die Tonnen und platziert sie hinter dem Gebäude, wir machen uns jeder sein Abendessen und setzen uns danach um ein Lagerfeuer.

Am nächsten Tag beschließen wir, gemeinsam auf den Jafferau zu fahren, von unserer Seite aus; der Startpunkt bei Bardoneccia liegt fast neben der Zufahrt der Sommeiller-Strecke. Zwischendurch einkaufen und tanken, fahren wir über das Forte Föens nach oben. Dort erzählen uns entgegenkommende Motorradfahrer, dass die Strecke auf der anderen Seite zwischen dem Tunnel nach Salbertrand wegen eines Erdrutsches unpassierbar sei, nur mit schmalen Motorrädern kommt man zwischen den Felsbrocken noch durch. Genau die Strecke, die die Campingplatznachbarn vor zwei Tagen noch gefahren sind.

Wir fahren erstmal weiter, hoch zum Fort Jafferau, wo es wieder zu regnen beginnt, so dass wir auf eine Besichtigung verzichten und zurück Richtung Salbertrand und durch den Tunnel fahren. Hinter diesem können auch drei Fahrzeuge stehen und vor allen Dingen wenden.
Wir laufen ungefähr einen Kilometer bis zur Erdrutschstelle, wirklich, das Holz der abgebrochenen Bäume ist ganz frisch, die Strecke für Fahrzeuge wesentlich breiter als ein Radl nicht passierbar. Also wieder dieselbe Stecke zurück, im Ort trennen wir uns, ich will nach Frankreich, Laura und Silas müssen Richtung Heimat, Achim hat noch mehr Zeit. Beneidenswert.
Über den höchsten Alpenpass, den Col d´Izoard, und weiter den Col Dell´Agnello fahre ich ins Mairatal. Den Camping Lou Dahu in Marmora im Mairatal hab ich als Tipp bekommen, dort lege ich einen Ruhetag ein, mal einen Tag lang nicht fahren.
Die Info, dass die Maira-Stura-Grenzkammstraße wegen Bauarbeiten geschlossen ist, bestätigt sich hier, aber von der Ostseite kann man das schönere Stück einen Gutteil entlangfahren. Leider spielt das Wetter nicht so mit, Nebel und Wolken, bis es mittags etwas aufreißt, da bin ich schon auf dem Rückweg.

Ich suche mir einen Camping Municipal aus und lande in St.-Andre-des-Alpes, zahle keine 20 Euro für zwei Tage auf einem wunderschönen Camping unter Kiefern. Eine Wanderung zum nächstgelegenen Hügel, auf dem steinerne Statuen der Heiligen Peter und Paul stehen, mit traumhafter Aussicht auf den Stausee, eine Menge Gleitschirmflieger und einem neugierigen Grashüpfer zu meinen Füßen.
Über einige Pässe komme ich am Nachmittag zum Lac du Mont Cenis, wo ich spontan beschließe, zu übernachten. Ein traumhafter Sonnenuntergang, blauer Himmel spiegelt sich im ebensolchen Lac.
Weiter durch Liechtenstein nach Österreich zum Sylvretta, wo ich übernachte. Über den Reschen fahre ich nach Südtirol, will dort zumindest noch eine Nacht bleiben. An der Grenze hält mich die Guardia di Finanza an, will wissen, ob ich Benzin in Kanistern dabei habe. Anscheinend gibt es aufgrund in Österreich billigeren Sprits einen erheblichen Benzinschmuggel von Österreich nach Italien … Diesel scheint die Herren nicht zu interessieren.
In einer endlosen Schlange von Tupperware (Wohnmobilfahrern), Traktoren mit Mords-Anhängern zur Wein- und Obsternte, Touries, viele BMW-Motorräder, von älteren Herren gesteuert (gibt’s eigentlich auch BMWs, die von jüngeren Herren oder Frauen gesteuert werden?) und Einheimischen kriechen wir Richtung Meran. Richtig, nächsten Dienstag ist ja Feiertag in D, langes Wochenende, das Wetter traumhaft und Törggelen ist auch angesagt. Da werde ich keinen freien Campingplatz mehr finden, die sind sicher seit Monaten ausgebucht. Nach einem Blick auf die Karte und einer Pinkelpause, bei der mich eine Gottesanbeterin misstrauisch beobachtet, entschließe ich mich, vorzeitig nach Hause zu fahren und lieber noch ein, zwei Motorradtouren zu unternehmen.

Von Meran über Dorf Tirol, Jaufen, Brenner und Mittenwald gehts schließlich heim.
Am nächsten Tag, Freitag, mache ich noch eine Tagestour mit meiner Royal Enfield Himalayan. Früh los, über den Sylvenstein, an dem ich bereits den ersten (Foto-)Stopp einlege, da über dem Wasser Nebelwolken treiben, die es über die Staumauer weht, das hatte ich bisher noch nie erlebt.
Am Achensee vorbei, ein Stück Inntalautobahn die Brenner-Bundesstraße hoch, am Brenner erstmal anhalten und in Ruhe einen Cappuccino genießen, danach rauf aufs Penser Joch. In den Kurven und Kehren folge ich zwei großen Reiseenduros mit italienischen Kennzeichen, könnte sogar schneller fahren, nur auf den längeren Geraden fahren sie mir mit meinen 24,5 PS davon. Auf dem Penser Joch die Aussicht genießend verzehre ich meine mitgebrachte Brotzeit.
Den Abstecher zur Sauburg und zum Noafer hebe ich mir für ein andermal auf, es ist schon spät, weiter zum Timmelsjoch, dort die Ausstellung auf der Passhöhe angeschaut. Das Gebäude kenne ich aus diversen Online-Architekturzeitschriften, es ist durchaus sehenswert. Bei der Abfahrt in einer Kehre weiter unten schmiert mir das Hinterrad kurz weg, fängt sich gleich wieder, war vielleicht ein Ölfleck oder ein Steinchen. Glück gehabt, muss auch mal sein.
Weiter unten 16 Euro Maut für eine einfache Motorradfahrt abgedrückt (Österreich ist nicht billig …), das Motorradmuseum wird ebenfalls für ein andermal aufgehoben. Durch kurzen Stau in Imst und viel Verkehr über den Fernpass, Ehrwald, Garmisch wieder heim nach Tölz.

Anmerkungen
Wenn ich mich nicht verzählt habe, waren das in den zwei Wochen insgesamt 30 Pässe, wenn man die Assietta und die Maira-Stura-Kammstraßen je als einen zählt, obwohl es dort jeweils über mehrere Pässe geht; aber auch Fort Jafferau, das eigentlich kein Pass ist, sondern eine Festung auf einem Gipfel. Kehren hab ich nicht gezählt; wen‘s interessiert, kann das ja z.B. auf alpenpaesse.de oder alpenrouten.de googeln. Gesamt knappe 3.150 km, davon knappe 2.700 mit dem Land Rover und 450 mit dem Motorrad. Der große Vorteil vom Defender ist, dass ich damit auf diversen Pässen etc. wild campen konnte (mit Klo an Bord). Das ist mit dem Motorrad wesentlich schwieriger.